Totenstimmung
Bushaltestelle an der Schule für Lernbehinderte ist es schon noch ein Stück Weg bis zum Wäldchen.«
»Was ist mit dem Freibad Giesenkirchen?«
»Das ist doch geschlossen, soweit ich weiß.« Frank gähnte. »Aber wir können den Hausmeister dort fragen, klar. Genauso wie die Tennisspieler nebenan.«
»Mir geht die Mundharmonika nicht aus dem Kopf.«
»Ich denke, es ist so, wie Wimo erzählt hat: Die Harp hatte das gewisse Etwas. Der Klang, das glänzende Blech.«
»Und man kann sie unauffällig in die Tasche stecken oder sie daraus hervorzaubern.« Ecki nickte. »Ideal, um auf sich aufmerksam zu machen.«
»Wenn man dann noch eine Melodie darauf spielen konnte, war man für Elvira bestimmt der Star.«
Ecki rieb sich die Schläfen. »Ich habe Kopfschmerzen. Ich glaube, ich werde krank. Und das bei dem Wetter.«
Mieser konnte der Tag nicht beginnen: Ecki lag immer noch mit Grippe im Bett, der Dienstwagen war zur Inspektion in der Schirrmeisterei, und es regnete Bindfäden.
Frank sah angestrengt durch die beschlagene Scheibe, als könne er allein kraft seiner schlechten Laune den Regen stoppen. Er hatte nicht die geringste Lust, aus seinem MGB auszusteigen. Denn er sah schon vor sich, wie seine Schuhe im Matsch des Spargelfelds versinken würden.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße.« Fluchend öffnete er die Wagentür und stieg endlich doch aus. Er sah zum Himmel und schlug den Kragen seiner Jeansjacke hoch. Er wusste, dass das nicht mehr als eine Geste war.
Freiwillig wäre Frank nie zu einem Spargelfeld gefahren. Und schon gar nicht so früh am Tag. Aber er war ja auch nicht zum Spargelstechen verabredet. Vorsichtig hob der Leiter des KK 11 die graue Folie an, mit der die empfindlichen Pflanzen vor den noch kühlen Nächten geschützt wurden. Vor ihm ragten in unregelmäßigem Abstand sieben bleiche Finger aus der festgeklopften Erde.
Frank nickte stumm und richtete sich wieder auf. Für den Gerichtsmediziner das Signal, mit seiner Arbeit fortzufahren. Finger um Finger zog er langsam aus der feuchten Erde und tütete sie ein.
»Die Finger einer Frau.« Kriminaltechniker Torsten Linder deutete auf die sieben Plastiktütchen. »Wie Spargelspitzen.«
Frank hob den Kopf und sah hinüber zur Autobahn. Bis zum alten Grenzübergang Schwanenhaus war es nicht weit. Um diese Uhrzeit war noch wenig Betrieb. Nicht weit vor ihm flatterte träge eine Schar Saatkrähen auf.
»Was machen Frauen ohne Finger?« Der Wind fuhr kräftig durch das lockige Haar des Ermittlers. Frank steckte die Hände in die Hosentaschen und machte sich ganz schmal.
»Was meinst du?« Der Mann im weißen Einmaloverall sah irritiert zu Frank auf.
»Ich brauche jetzt einen Kaffee.« Hier konnte er nichts mehr tun, Linder würde ihn ohnehin bald verscheuchen.
»Sorry, Frank. Wir haben die Kanne vergessen.« Der Kollege von der KTU hob bedauernd die Schultern.
»Ich komme schon klar. Weiter hinten gibt’s ein Bauerncafé.« Frank deutete mit dem Kopf vage in die Richtung. »Wenn ihr mich sucht.«
Bevor er in seinen Wagen stieg, versuchte er den klebrigen Ackerboden von seinen Schuhen zu schaben. Er fluchte. Seine Lederstiefel waren mit Sicherheit ruiniert.
»Keine aktuellen Vermisstenanzeigen? Dann überprüft die alten Listen noch einmal.« Frank klemmte sein Mobiltelefon zwischen Kopf und Schulter und schnitt bedächtig ein Mehrkornbrötchen auf. »Was?« Frank wechselte das Telefon an sein anderes Ohr. »Sprich lauter, ich kann dich kaum verstehen. Niemand wird vermisst? Aha. Danke.« Er beendete das Gespräch und sah nachdenklich auf die Tastatur. Als die Bedienung frischen Kaffee brachte, nickte er nur abwesend.
Er musste sich auf die Finger konzentrieren. Der polnische Erntehelfer, der die Leichenteile gefunden hatte, tat ihm leid. Für ihn musste es der blanke Horror gewesen sein. Wer schnitt einer Frau die Finger ab? Und warum hatten sie nur sieben gefunden? Wo waren die anderen? Oder hatte die Zahl sieben etwas zu bedeuten? Warum ausgerechnet ein Spargelfeld? Und ausgerechnet in Kaldenkirchen?
Frank sah aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört. Am Horizont zeigte sich ein heller Streifen. Es würde nicht lange dauern, bis die Sonne die Äcker und den Wald dampfen ließ. Es würde feuchtwarm werden. Er musste unwillkürlich an die Nachmittage früher zu Hause in ihrem Gemüsegarten denken. Nach dem Regen hatten die nassen Erdbeerstauden gegen seine nackten Waden gedrückt, und die tanzenden Mücken hatten sich gnadenlos ihre
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