Totenstimmung
Drehstuhl zurück.
»So weit waren wir schon, Ecki.«
»Ich weiß …« Ecki beugte sich unvermittelt vor und zuckte mehrfach unter einer Niesattacke zusammen.
»Du gehst besser ins Bett, Ecki. Sonst steckst du uns noch alle an.« Carolina Guttat war vor Schreck mit ihrem Stuhl ein Stück zurückgewichen.
Ecki schnaufte. »Geht schon wieder. Kann ja sein, Frank, dass das Ganze mit deiner Musik zu tun hat. Jemand fühlt sich von eurer Musik belästigt, bedroht, was weiß ich. Für so was gibt’s ja genug Beispiele in der Rock- und Popgeschichte.«
»Das meinst du jetzt nicht im Ernst?«
»Und ob.«
Carolina Guttat runzelte die Stirn. »Wegen Blues oder WDR4 begeht doch niemand einen Mord.«
Heinz-Jürgen Schrievers beäugte Ecki misstrauisch. »Du bist krank? Ich kann jetzt keine Grippe gebrauchen. Ich komme langsam in Form. Wegen dir möchte ich mein Training nicht ausfallen lassen müssen.«
»Keine Sorge, ich werde schon Abstand halten.«
Während Frank einen Stuhl frei räumte, verfolgte Schrievers jede seiner Bewegungen mit wachen Augen.
»Ist was, Schrievers?«
»Seit ich walke, bin ich ein neuer Mensch. Joggst du eigentlich noch?«
Hätte Schrievers ihn nach der neuesten CD von Duke Robillard gefragt oder nach den Tourneedaten von B . B . King, Frank wäre nicht überraschter gewesen. Schrievers wollte mit ihm tatsächlich über Sport reden.
»Ich will wieder anfangen. Willst du etwa mitlaufen?«
»Warum nicht?«
Frank sah halb belustigt, halb spöttisch zu Ecki. Der Dicke wollte wirklich ernsthaft Sport treiben, dabei würde der Archivar keinen Kilometer weit kommen, ohne einen ›Herzkasper‹ zu bekommen.
»Übernimm dich nicht. Walken ist doch nicht schlecht für den Anfang.«
»Mein Orthopäde hat gesagt, dass das richtige Schuhwerk entscheidend ist. Dann kann ich jederzeit laufen.« Der Archivar erhob sich. »Ich habe sogar schon abgenommen.«
Frank nickte. »Kann man deutlich sehen. Hab ich mir vorhin schon gedacht, als ich reinkam.«
Schrievers’ Augen blitzten verräterisch. »Dann bist du der Erste, der das sieht.«
»Also, ich meine schon. Was meinst du, Ecki?«
»Wir sollten lieber zum Wesentlichen kommen.« Ecki hatte ebenfalls wenig Lust, sich auf das dünne Eis »Figurprobleme« zu begeben.
Schrievers nickte und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. »Hast recht. Was kann ich für euch tun?«
»Wir brauchen eine Liste aller Vermissten, auch aus den Niederlanden. Ich will wissen, ob darunter Frauen mit Down-Syndrom sind. Du hast doch gute Kontakte nach Holland.«
»In die Niederlande, ja.«
»Niederlande oder Holland: Was macht das schon für einen Unterschied?« Frank deutete auf das von den Jahren dunkel gewordene Gemälde, das der Archivar auf dem Dachboden seines Nachbarn gefunden hatte und das nun hinter Schrievers an der Wand hing. »Das ist doch eindeutig Holland: Segelboote im Hafen und eine Windmühle dahinter.«
Der Archivar drehte sich nicht um. »Auch wenn du aus Breyell kommst, Borsch, und die alte Grenze nicht weit weg ist, du hast keine Ahnung von Erdkunde.«
»Ist mir auch wurscht, Heinz-Jürgen, besorg mir einfach die Listen, und gut ist. Ruf das Meisje in Roermond an und bitte sie um Amtshilfe. Mehr will ich gar nicht.«
»Schlechte Laune?«
»Nee. Keine Zeit.«
Schrievers lehnte sich zurück und schlug ein Bein über das andere. Dabei ließ er einen seiner karierten Filzpantoffeln bis knapp über die Zehen rutschen, um dann mit dem Schuh provozierend auf und ab zu wippen.
»Hey, ich finde, du hast wirklich abgenommen. Ich werde dich zum Vorbild nehmen und was für meine Figur tun.«
»Du meinst also, ich müsste etwas für meine Figur tun?« Schrievers’ Stimme nahm einen bedrohlichen Unterton an. Er hatte Borsch dort, wo er ihn haben wollte.
»Ja, äh, nein, natürlich nicht. Das muss ja jeder selbst wissen.«
»Meinst du?« Schrievers klang nicht nur drohend, sondern auch spöttisch. Eine besonders gefährliche Mischung.
»Ich finde schon. Oder nicht?« Franks Blick wanderte verunsichert zwischen Ecki und Schrievers hin und her.
»Wir sollten Heinz-Jürgen in Ruhe arbeiten lassen. Umso eher haben wir unsere Listen.«
Frank nickte dankbar und wechselte das Thema. Er wusste, dass Schrievers ein Faible für alte Möbel hatte. »Lisa hat übrigens vom Sperrmüll einen Stuhl mitgebracht.«
Der Satz verfehlte seine Wirkung nicht.
Der Archivar beugte sich vor. »Wie alt?«
»Keine Ahnung. Weiß gestrichen. Müssen mehrere Schichten
Weitere Kostenlose Bücher