Totentaenze
…
»Entschuldige«, stammele ich, »wirklich doof von mir, es ist nur … ich bin völlig durcheinander …«
Ich lasse die Taschenlampe auf den Boden leuchten. Einen Moment ist es absolut still und mir wird wieder bewusst, wo wir uns befinden, tief unter der Erde, im Reich des Todes.
»Sollten wir nicht einfach jetzt hochgehen und die Polizei benachrichtigen, es war ein … ein Unfall …«, beginne ich und denke zugleich daran, wie schrecklich Levke ums Leben gekommen ist und durch welche idiotischen Umstände!
»Bist du total bescheuert!«, schreit er auf und packt mich an den Schultern, schüttelt mich. »Ich hab sie umgebracht, kapierst du, weil sie mich hier in eine der düsteren Ecken gezogen hat und an mir rummachen wollte! ›Ich sag’s deinem Vater‹, hat sie geflüstert und dann hatte ich genug! Verstehst du, ich war so wütend, ich hab sie an der Gurgel gefasst …« Seine Hand greift um meinen Hals, drängt mich rückwärts, drückt mich gegen die Wand … die Taschenlampe, ich habe sie fallen lassen, sie legt einen leuchtenden Balken auf die Erde und ich kann sein Gesicht nicht mehr sehen.
»Aber sie hat nicht aufgehört, sie hat einfach nicht aufgehört und sich lustig über mich gemacht, sie war so gemein und … und hast du eigentlich eine Ahnung davon, wie mein Vater ist?«
»Hör auf!«, stoße ich hervor und versuche, mich aus seinem Griff zu befreien, doch er hört mich gar nicht.
»Für den gibt’s nichts Schlimmeres als Schwule!« Ich spüre seinen Atem, so nah ist er mir.
»Warum hast du die SMS …«, bringe ich hervor.
»Die SMS … Ich wusste doch nicht, dass man die Leiche finden würde! Ich hatte sie so gut versteckt! Es war ein dummer Zufall! Und dann wollte ich, dass alle denken, dass Levke einfach abgehauen ist. Früher oder später hättest du denen von den SMS erzählt. Weißt du, wie viele Menschen jeden Tag verschwinden? Einfach nie wieder auftauchen?«
»Lass mich los! Lass …« Mein Nacken liegt über der Kante eines Regalfachs, schon berühren meine Wangen die Knochen, die da liegen. Ich komme nicht an dieses verfluchte Messer, meine Tasche liegt auf dem Boden.
»Darian, bitte, lass …«, bringe ich hervor, wenn er weiter so fest drückt, bricht er mir das Genick … wie Levke … und ich werde zu den Vermissten gehören …
Ich bin verloren, schreit meine innere Stimme, doch ich will ihr nicht recht geben, ich will nicht … »Darian!«
Meine Kraft reicht nicht aus, mich aus seinem Griff zu befreien, meine rechte Hand tastet zwischen den Skeletten umher und plötzlich hält sie etwas fest, einen schweren Knochen, von einem Oberschenkel vielleicht, ich schlage damit zu, treffe Darians Kopf, sein Griff lockert sich, in dem Augenblick winde ich mich unter ihm heraus, torkele, will mich nach der Taschenlampe bücken, doch so viel Zeit bleibt mir nicht. Schon spüre ich seine nach mir greifende Hand, ich stürze nur noch davon, erinnere mich an etwas Dunkles auf der linken Seite des Gangs, vielleicht eine Abzweigung, auf gut Glück renne ich darauf zu. Tatsächlich, dort ist eine Öffnung, ich ducke mich, sehe, wie der Strahl der Taschenlampe über den Boden streicht … Wenn er mich findet, bringt er mich um, das ist mir jetzt klar. Er hat zu große Angst vor den Konsequenzen, wenn er zugibt, was er getan hat.
Ich wage kaum zu atmen. Mein Herzschlag trommelt in meinen Ohren.
Er geht vorbei. Es wird stockdunkel. Ich zähle bis fünfzig, dann wage ich mich aus dem Versteck. Ich muss nach rechts und dann immer dem Gang folgen, dann komme ich zum Ausgang. Warum nur musste ich die Taschenlampe verlieren? Ich bleibe stehen. Sind da nicht Schritte? Ich stolpere weiter, da liegen Steine im Weg, waren die vorher auch da? Wieso hab ich die Steine nicht bemerkt?
Meine Hand tastet weiter, berührt die glatten und porösen Knochen, wie konnte ich mich nur hier hineinwagen? Ich muss weiter, nur nicht anhalten, nur nicht aufgeben, ich muss hier raus, raus aus dieser Hölle!
Der Boden wird weicher, sandiger – und wenn der Gang einfach an einer Mauer endet? Wohin führen überhaupt all die Gänge? Treffen sie alle an einem Punkt zusammen? Braucht er dort also nur zu stehen und zu warten – Darian, der Mörder?
Doch was soll ich tun? Umkehren? Ich kann kaum noch rennen, die Luft ist unerträglich heiß und stickig geworden, meine Lungenflügel stechen, mein Herz rast und in meinem Kopf beginnt sich ein Karussell zu drehen. Jetzt nicht ohnmächtig werden, jetzt nicht! Ich
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