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Totentaenze

Totentaenze

Titel: Totentaenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian , Krystyna Kuhn , Manuela Martini , Susanne Mischke
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gab nur noch vorne in der ersten Reihe zwei freie Plätze und Klara wählte den äußeren. Cedric, unser Klassenclown, feixte von Ohr zu Ohr und machte Anstalten, einen Platz nach links zu rücken, auf den Stuhl neben Klara. Ein vernichtender Blick von ihr nagelte ihn auf seinem Sitzplatz fest, sein verlegenes Lächeln ließ ihn nicht gerade intelligenter aussehen. Klara stellte ihre abgewetzte Schultasche auf den freien Stuhl, eine unmissverständliche Barriere.
    Der Unterricht begann. Doch niemand schaute ins Englischbuch oder an die Tafel, stattdessen bohrten sich vierundzwanzig Augenpaare in den Rücken der Neuen, verfingen sich in den Kaskaden ihres Haars, verfolgten jede ihrer Bewegungen, und als sie nun scheinbar selbstvergessen ihr Haar um ihre rechte Hand wand und dabei ihre elegante Halslinie bloßlegte, vergaßen sämtliche Jungs, den Mund zu schließen.
    »Jede Wette«, zischelte mir Vanessa zu, »dass den Kerlen gerade ihr Restverstand in die Hosen gerutscht ist.«
    Doch auch ich hatte mir längst eingestanden, dass mich dieses Mädchen faszinierte. Es war nicht nur ihre Schönheit, es war noch etwas anderes, ich konnte es nicht benennen. Aber ich wusste, es war da, und ich verspürte den brennenden Wunsch, dieses Wunderwesen zur Freundin zu haben. Vergiss es, Carolin, sagte ich mir, das wird nie passieren. Was sollte ein Mädchen wie sie mit mir schon anfangen? Was hatte ich ihr Interessantes zu bieten? Ich war ein Durchschnittstyp, lebte in einer Durchschnittsfamilie – Vater, Mutter, kleiner Bruder – und bis jetzt hatte ich nicht viel Spektakuläres erlebt. In unserer Fußballmannschaft gab ich eine leidlich gute Innenverteidigerin ab, aber was bedeutete das schon? Selbst Vanessa bescheinigte mir des Öfteren, dass ich langweilig sei. Zwar nur im Spaß, aber insgeheim kränkten mich ihre Worte doch jedes Mal. Sie und ich wohnten in derselben Straße und kannten uns seit dem Kindergarten. Manchmal vermutete ich sogar, dass das der Grund war, weshalb sich Vanessa überhaupt mit mir abgab: Gewohnheit. Vielleicht auch, weil ich sie bei Klassenarbeiten abschreiben ließ und ihr Nachhilfe in Mathe gab. Ich war in den meisten Fächern gut oder sogar sehr gut und wurde deshalb von anderen schon mal abfällig als »Streberin« tituliert. Dabei war gar nicht ich die Klassenbeste, sondern Daniel, unser Klassensprecher. Daniel: Er sah einfach wahnsinnig gut aus, war sehr beliebt und besaß ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, ihn einen Streber zu nennen. Nein, er war das »Genie« in unserer Klasse.
    Manchmal, kurz vor dem Einschlafen, träumte ich davon, dass Daniel und ich verheiratet wären – natürlich miteinander. Aus ihm wäre bis dahin ein weltberühmter Wissenschaftler geworden – was das Fach anging, schwankte ich zwischen Quantenphysik und philosophischer Mathematik – und wir reisten zusammen zu Kongressen nach Asien und in die USA, wo er Vorträge hielt. Ich selbst sah mich als Biologin, die gerade ein Wundermittel gegen Krebs, Alzheimer oder eine andere Plage der Menschheit entdeckt hatte. Neben dem Kamin in unserem zauberhaften Haus hingen unsere Diplome und Promotionsurkunden und im Schlafzimmer stand ein Himmelbett, in dem wir uns jede Nacht leidenschaftlich liebten. Selbstverständlich hätte ich mich eher umbringen lassen, als jemandem von diesen Fantastereien zu erzählen.
    Doch heute war sogar Daniel unkonzentriert, denn als Frau Hagedorn nun das Wort an ihn richtete, erwischte es ihn kalt und er sah sie an wie ein Schlafwandler, den man gerade vom Dach geholt hat. Auch sonst schien niemand in der Lage zu sein, Frau Hagedorns Frage zu beantworten. War es möglich, dass dieses Mädchen die ganze Klasse kirre machte? Bei den Jungs konnte man den Grund ja noch verstehen, aber auch ich, sonst ein verlässlicher Stützpfeiler des Englischunterrichts, konnte keine Antwort geben – ich hatte die Frage gar nicht gehört.
    Frau Hagedorn seufzte entnervt und wandte sich an die neue Schülerin. Augenblicklich verstummte jedes Geräusch. Wie bettelnde Hunde hingen wir an Klaras Lippen. Nach einer kleinen Denkpause – oder auch einer Kunstpause –, mit der sie sich die absolute Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicherte, nannte sie die gefragten drei Stadtteile von London. Es war das erste Mal, dass Klara etwas sagte, und der volle Klang ihrer Stimme löste in mir ein wohliges Gefühl aus.
    »Very good, Klara«, lobte Frau Hagedorn. Klara lächelte. Es war,

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