Totentanz
hörten sie ein Glöckchen bimmeln und dann sogleich die Schritte des Wirts, der die Gerichte servierte. Für Živa hatte er die Brennesseln nun doch zusammen mit dem anderen Gemüse gebracht, vor Laurenti standen ein Teller mit dampfenden Kartoffeln und eine Platte mit einer Forelle darauf, deren Schwanzflosse steil nach oben gekrümmt war.
»Vier Jahre.« Živa tippte mit ihrem Messer gegen den Fischschwanz. »Vier Jahre Heimlichtuerei, obwohl es alle um uns herum längst begriffen haben. Kein einziger gemeinsamer Sonntagsausflug, keine gemeinsame Reise, nicht einmal ein gemeinsames Frühstück, keine Ferien und kein Alltag, kein Streit und keine Versöhnung.«
Laurenti schaute sie erschrocken an. In der Tat war dies die erste gemeinsame Besichtigung einer Kirche, solange sie sich kannten, doch weshalb beklagte sie sich? »Wir hatten es so ausgemacht. Und was heißt eigentlich, daß alle davon wissen?« Er filettierte verstimmt und unkonzentriert den Fisch auf seinem Teller.
»Eine, wie soll ich sagen, fruchtbare Zusammenarbeit ist es, die wir bisher gelebt haben, sonst nichts. Und das ist nicht genug, finde ich.«
»Guten Appetit, Živa.«
»Lenk nicht ab, Proteo.« Živa hatte ihre Brennesseln bis jetzt noch nicht einmal angesehen. »Nenn mir nur einen einzigen Grund, weshalb wir mit dieser Beziehung fortfahren sollten!«
»Du hast immer auf deiner Freiheit bestanden, Živa. Ich habe dich nie danach gefragt, in welchen Verhältnissen du lebst, du hingegen kennst jeden einzelnen meiner Schritte.«
Seine Stimme hallte zu laut durch den leeren Raum. Proteo sah, wie der Wirt eine gewichtige Geste gegenüber den beiden Männern am Tresen machte und sie mit einem Augenwink in Richtung der beiden Essensgäste begleitete.
»Ebendarum geht es.« Živa, die endlich den ersten Bissen zu sich genommen hatte, legte hörbar ihr Besteck zurück auf den Teller. »Wir hatten vier schöne Jahre zusammen, oder sagen wir eher: zwei. Solange nämlich waren wir uns wirklich nahe, lachten und scherzten gemeinsam, machten Liebe, wie es uns gefiel. Die zweite Hälfte unserer Beziehung, Proteo, lief nicht mehr so. Und ich habe beschlossen, damit Schluß zu machen.«
Jetzt knallte Laurenti sein Besteck auf den Teller. Die drei Männer am Tresen schauten erschrocken zu ihnen herüber, ihre Ehen kannten derartige Ausbrüche schon lange nicht mehr.
»Laß uns gute Freunde bleiben und uns an die schönen Momente erinnern, die wir zusammen verbracht haben«, fuhr Živa fort, bevor er ihr widersprechen konnte. »Aber nichts anderes. Ich will frei sein. Und mit dir bin ich es nicht mehr.«
»Wenn dir jemand alle Freiheit gelassen hat, dann war ich das, Živa.« Er tastete sein Jackett nach Zigaretten ab, obwohl er seit zwei Jahren keine mehr kaufte und lediglich von denen der anderen profitierte, wenn er aufgeregt war.
»Rauch jetzt nicht«, sagte Živa. »Du hast noch nicht einmal die Hälfte von deinem Fisch gegessen.«
»Meeresfische sind besser als diese Tümpelforellen. Und schau gefälligst auf deinen Teller.« Aufgebracht wies er mit dem Finger auf das fast unberührte Gemüse und stieß dabei sein Glas um. »Verdammt noch mal.« Wie ein Tölpel tupfte er mit der Serviette auf dem Tischtuch herum. »Was willst du eigentlich, Živa?«
»Meine Freiheit, Proteo. Ich hab es schon gesagt.«
»Hast du einen anderen?«
Živa lächelte. »Nein. Aber es könnte irgendwann einmal passieren. Man weiß nie.«
»Wie heißt er?«
Wieder war es der Wirt, der sie unterbrach. Er hatte gesehen, daß sie ihr Essen nicht mehr anrührten, und trug mürrisch und kommentarlos ab. Laurenti bestellte die Rechnung, ohne Živa zu fragen, ob sie noch einen Nachtisch wünschte. Sie erhoben sich gleichzeitig und gingen an den grinsenden Männern vorbei ins Freie.
»Na denn«, sagte Laurenti auf dem Weg zum Parkplatz. Sein Leiden war Wut geworden. »Vielleicht überlegst du dir’s. Meine Telefonnummer kennst du ja.«
Er stieg, ohne sie noch einmal anzusehen, in den Fiat und startete mit aufheulendem Motor. Im Rückwärtsgang stieß er so heftig gegen die kleine Begrenzungsmauer zur Straße, daß der Lack splitterte.
»Du fährst wie ein Triestiner«, rief Živa ihm lachend hinterher.
Alles hat seinen Preis
Jede zweite Woche hatten Damjan und Jožica Babič Spätdienst und kamen dann immer erst gegen Mitternacht nach Hause in das Dorf auf der anderen Seite der Grenze. Um 22.30 Uhr stiegen sie in ihren Škoda und verließen das Gelände des
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