Totentöchter - Die dritte Generation
die Decke zurück und verschaffe mir einen Überblick. Ich trage ein schlichtes weißes Hemd. Meine Haut kribbelt und ist komplett enthaart. Die Nägel sind rund gefeilt und poliert. Ich bin wieder in meinem Zimmer, mit dem Fenster, das sich nicht öffnen lässt, und einem Bad, so rosa, dass es praktisch schreit.
Wie auf ein Stichwort geht die Tür zu meinem Zimmer auf, und ich weiß nicht, was ich erwarte. Gabriel, verprügelt und hinkend, der mir mein Essen bringt; einen Aufmarsch von Erstgeneration-Frauen, die enthaaren, glätten und parfümieren wollen, was noch von meiner Haut übrig ist; einen Arzt mit einer Spritze und einem weiteren gruseligen Tisch, diesmal auf Rädern? Aber es ist nur Deidre, die etwas trägt, was in ihren winzigen Armen wie ein schweres weißes Paket aussieht.
»Hallo«, sagt sie in einem Ton, der so sanft ist, wie es nur der eines Kindes sein kann. »Wie fühlst du dich?«
Meine Antwort würde nicht freundlich ausfallen, deshalb sage ich nichts.
Sie huscht quer durchs Zimmer. Heute trägt sie ein dünnes weißes Kleid anstelle ihrer Uniform.
»Ich bringe dein Kleid«, sagt sie, legt das Paket auf dem Frisiertisch ab und löst die Schleife, die es zusammenhält. Das Kleid ist länger als sie, und es wallt üppig über den Boden, als sie es hochhält. Diamanten und Perlen glitzern.
»Das müsste deine Größe sein«, sagt Deidre. »Sie haben deine Maße genommen, als du nicht bei dir warst, und ich habe sicherheitshalber ein paar Änderungen vorgenommen. Probier es an.«
Mein Hochzeitskleid anzuprobieren, um Hauswalter Linden vorgeführt zu werden – den für meine Entführung verantwortlichen Mann – und Hausprinzipal Vaughn, dessen Name allein Deidre im Fahrstuhl erbleichen ließ, ist eindeutig das Letzte, was ich will. Doch sie hält das Kleid hoch und sieht dabei so mitfühlend und unschuldig
aus, dass ich ihr das Leben nicht schwer machen mag. Ich schlüpfe in das Kleid und lasse mir den Reißverschluss zuziehen.
Deidre steht auf dem Hocker neben dem Frisiertisch. Ihre geschickten kleinen Hände binden perfekte Schleifen. Und das Kleid passt bemerkenswert gut. »Du hast das gemacht?«, frage ich sie und kann mein Erstaunen nicht verbergen. Die Röte schießt ihr in die Apfelbäckchen, sie nickt und steigt vom Hocker.
»Die Diamanten und die Perlen aufzufädeln, dauert am längsten. Der Rest ist einfach«, sagt sie.
Das Kleid ist schulterfrei und schließt in herzförmigen Bögen unter dem Schlüsselbein ab. Die Schleppe hat die Form eines V. Aus der Vogelperspektive, nehme ich an, sehe ich aus wie ein weißes Seidenherz, wenn ich den Kirchengang hinuntergehe. Wenigstens kann ich mir nichts Hübscheres vorstellen, was ich auf meinem Weg in die lebenslange Gefangenschaft tragen könnte.
»Du hast ganz allein drei Hochzeitskleider genäht?«, frage ich.
Deidre schüttelt den Kopf und hilft mir, mich behutsam auf den Hocker zu setzen. »Du bist meine Halterin, ich bin deine Aufwärterin. Die anderen Frauen haben ihre eigenen.«
Sie zieht eine Schublade des Frisiertisches auf, die voller Kosmetika und Haarbänder ist. Mit einer roten Bürste in der Hand zeigt sie auf die Knöpfe an der Wand über meinem Nachttisch. »Drück den weißen, wenn du irgendetwas brauchst. So erreichst du mich. Der blaue ist für die Küche.«
Sie fängt an, mich zu schminken, mischt und pinselt
Farben auf meine Haut, hält mein Kinn hoch, um mich zu inspizieren. Als sie zufrieden ist, macht sie sich an mein Haar, das sie bürstet und um Lockenwickler wickelt, dabei plaudert sie unentwegt und gibt mir Informationen, die sie für nützlich hält.
»Die Hochzeit wird im Rosengarten stattfinden. Es geht dem Alter nach, die Jüngste zuerst. Es ist also eine Braut vor dir und eine nach dir. Selbstverständlich werden Gelübde ausgetauscht, aber das Gelübde wird für dich verlesen, du brauchst nicht zu sprechen. Dann werden die Ringe getauscht und – warte mal –, was kam dann …«
Ihre Stimme verliert sich in einem Meer von Beschreibungen: schwimmende Kerzen, die Tischordnung … Sie sagt mir sogar, wie leise ich zu sprechen habe.
Aber alles, was sie sagt, vermengt sich zu einem widerlichen Brei. Heute Abend ist die Hochzeit. Heute Abend. Ich habe keine Hoffnung, fliehen zu können, bevor es geschieht. Ich kann ja nicht mal ein Fenster öffnen. Ich habe dieses verfluchte Haus noch nicht mal von außen gesehen. Mir ist schlecht, ich bekomme keine Luft. Wenn ich nur ein Fenster öffnen
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