Totentöchter - Die dritte Generation
dass keiner der Diener ihn beim Servieren der Gerichte oder beim Abtragen ansieht.
Er war es, denke ich. Er war derjenige, der Gabriel wehgetan hat, weil meine Tür nicht verriegelt war. Sogar wenn er lächelt und harmlos plaudert, spüre ich, dass
ihm etwas Gefährliches anhaftet. Etwas, was mir den Appetit raubt und aus Deidres nettem Gesicht alle Farbe weichen lässt. Etwas, was womöglich viel gefährlicher ist als der tief betrübte Hauswalter Linden, der an uns vorbeistarrt, hoffnungslos verliebt in eine Frau an der Schwelle des Todes.
Der Abend ist endlich überstanden, ich liege in meinem einfachen weißen Hemd auf dem Bett, während Deidre mir die wunden Füße reibt. Ich würde sie bitten, aufzuhören, wäre ich nicht so erschöpft und wären ihre Berührungen nicht so entspannend. Sie kniet neben mir, so leicht, dass sie kaum einen Abdruck auf der flauschigen Bettdecke hinterlässt.
Mit einem Kissen im Arm liege ich auf dem Bauch und sie beginnt meine Waden zu bearbeiten. Genau das brauche ich nach so vielen Stunden in diesen hochhackigen Schuhen. Sie hat auch ein paar Kerzen angezündet, die den Raum mit dem warmen Duft unbekannter Blumen erfüllen.
Ich bin so entspannt, dass ich die Worte einfach herausfließen lasse, ohne mich um Sitte und Anstand zu scheren. »Also, wie läuft diese Hochzeitsnacht? Müssen wir uns in einer Reihe aufstellen und er wählt eine von uns aus? Betäubt er uns mit Schlafgas? Wirft er uns alle drei in ein Bett?«
Deidre scheint an meiner Grobheit keinen Anstoß zu nehmen. Geduldig erklärt sie: »Oh, der Hauswalter wird die Ehe mit seinen Bräuten heute Nacht nicht vollziehen. Nicht, wo Lady Rose …« Sie beendet den Satz nicht.
Ich richte mich gerade so weit auf, dass ich sie über die Schulter hinweg ansehen kann. »Was hat sie damit zu tun?«
Auf Deidres Gesicht erscheint ein tragischer Ausdruck. Ihre Schultern heben und senken sich, während sie mir die schmerzenden Beine reibt. »Er liebt sie sehr«, vertraut sie mir wehmütig an. »Ich glaube nicht, dass er eine seiner neuen Bräute aufsuchen wird, bevor sie dahingeschieden ist.«
Es ist wahr, Hauswalter Linden kommt nicht in mein Schlafzimmer, und nachdem Deidre die Kerzen gelöscht hat und gegangen ist, schlafe ich endlich ein. Doch in den frühen Morgenstunden wache ich auf, weil der Türknauf sich dreht. In den letzten Jahren ist mein Schlaf sehr leicht geworden – und ohne Schlaf fördernde Gifte im Blutkreislauf ist meine übliche Wachsamkeit zurückgekehrt. Trotzdem reagiere ich nicht. Ich warte in der Dunkelheit mit weit offenen Augen und beobachte, wie meine Tür aufschwingt.
Am lockigen Haar der Schattengestalt erkenne ich Linden.
»Rhine?« Zum zweiten Mal in unserer kurzen Ehe sagt er meinen Namen.
Ich will ihn ignorieren, ich will vorgeben, noch zu schlafen, bin jedoch überzeugt, dass das panische Klopfen meines Herzens quer durch den Raum zu hören sein muss. Es ist absurd, aber für mich bedeutet eine knarrende Tür immer noch, dass Sammler eindringen, die mir in den Kopf schießen oder mich rauben wollen. Im Übrigen hat Linden meine offenen Augen gesehen.
»Ja«, sage ich.
»Steh auf«, sagt er leise. »Zieh dir was Warmes an, ich will dir etwas zeigen.«
Was Warmes!, denke ich. Das muss heißen, er nimmt mich mit nach draußen.
Es ist ihm positiv anzurechnen, dass er das Zimmer verlässt, während ich mich anziehe. Beim Öffnen der Tür geht die Beleuchtung im Wandschrank an – und ich habe noch mehr Stangen voller Kleidung vor Augen, als mir bislang bewusst war. Ich suche mir eine schwarze Hose aus, die warm und wollig ist, und einen Pullover mit eingearbeiteten Perlen, Deidres Arbeit, daran besteht kein Zweifel.
Im Flur vor der Tür meines Zimmers – die nicht mehr von außen verriegelt ist, genau wie vor der Hochzeit – wartet Linden auf mich. Er lächelt, hakt mich unter und führt mich zum Fahrstuhl.
Verwirrend, aus wie vielen Korridoren diese Villa besteht. Selbst wenn die Haustür zu meiner Flucht sperrangelweit offen stände, ich würde sie nicht finden, da bin ich sicher. Ich versuche mir einzuprägen, welchen Weg wir nehmen: einen langen Korridor entlang, dessen grüner Teppich neu aussieht. Die Wände sind cremefarben und hier hängt auch die Art von Bildern wie in meinem Zimmer. Fenster gibt es nicht, deshalb weiß ich erst, dass wir uns im Erdgeschoss befinden, als Linden eine Tür öffnet und wir den Weg zum Rosengarten und den mir bereits bekannten Korridor
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