Totentöchter - Die dritte Generation
Kurve meines Körpers zeichnet sich unter dem samtigen Material ab: Meine Brüste, Hüftknochen, sogar die Rippen sind ansatzweise zu sehen.
»Das symbolisiert, dass du kein Kind mehr bist«, erklärt sie. »Dass du bereit bist für deinen Ehemann, wann immer er zu dir kommen will.«
Danach werde ich zum Fahrstuhl geführt und weitere Korridore entlang, bis wir einen Speisesaal erreichen. Die anderen Bräute haben die schwarze beziehungsweise gelbe Variante meines Outfits an. Wir tragen unsere Haare jetzt offen. Ich bekomme den Platz zwischen den beiden an der langen Tafel unter den Kristalllüstern zugewiesen. Cecily, der Rotschopf, wirkt aufgeregt, während Jenna, die Dunkelhaarige, aus ihrer Melancholie aufzutauchen scheint. Unter dem Tisch streift ihre Hand meine, und ich bin mir nicht sicher, ob das zufällig geschieht.
Wir riechen alle wie Blumen.
Immer noch fällt Glitter aus Cecilys Haar.
Hauswalter Linden trifft ein, wieder in Begleitung des Mannes aus der ersten Generation. Sie kommen auf uns zu und Linden hebt unsere Hände – eine nach der anderen – zum Kuss an seine Lippen. Dann stellt er uns den Mann als seinen Vater vor, als Hausprinzipal Vaughn.
Hausprinzipal Vaughn küsst uns ebenfalls die Hand, und es kostet mich schon einige Überwindung, mich nicht zu schütteln, als ich seine Lippen spüre, die kalt sind und wie Pergament. Unwillkürlich denke ich an eine Leiche. Als ein Mann der ersten Generation hat Hausprinzipal Vaughn sich gut gehalten. Sein dunkles Haar
ist nur an wenigen Stellen grau und sein Gesicht nicht so furchtbar runzlig. Aber seine Haut ist von einer kränklichen Blässe, die selbst Rose wie das blühende Leben aussehen lässt. Er lächelt nicht. Alles an seiner Berührung wirkt unterkühlt. Sogar Cecily wird kleinlaut, als er sich ihr nähert.
Ich fühle mich etwas besser, als Linden und Hausprinzipal Vaughn auf der anderen Seite der Tafel Platz nehmen, Linden uns gegenüber und Hausprinzipal Vaughn am Kopfende des Tisches. Wir Bräute sitzen in einer Reihe nebeneinander und das zweite Ende des Tisches bleibt leer. Dort, vermute ich, hätte Lindens Mutter gesessen. Da sie jedoch nicht hier ist, gehe ich davon aus, dass sie tot ist.
Als Gabriel mit einem Stapel Teller und Besteck den Raum betritt, spüre ich, dass ich erleichtert bin. Seit er gestern Abend aus meinem Zimmer gehumpelt ist, habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass meine Taten vielleicht zu seiner Bestrafung geführt hatten und dass Hausprinzipal Vaughn ihn für den Rest seines Lebens in ein Verlies sperren würde. Meine Sorgen laufen irgendwie immer auf Verliese hinaus. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als für den Rest meines Lebens eingesperrt zu sein. Zumal man nicht sehr viele Jahre hat, um das wenige zu genießen, das es gibt.
Gabriel scheint es allerdings einigermaßen gut zu gehen. Ich achte auf Anzeichen blauer Flecken unter seinem Hemd und finde nichts. Sein Humpeln ist verschwunden. Ich versuche, seinen Blick aufzufangen, hoffe, ihn mitfühlend oder entschuldigend ansehen zu
können, aber er schaut mich nicht an. Vier weitere Diener in gleicher Uniform folgen ihm mit Wasserkrügen, Weinflaschen und einem Wagen mit erlesenen Speisen – ganze karamellisierte Hühnchen und Ananas und Erdbeeren, die in Form von Seerosen zurechtgeschnitten und arrangiert worden sind.
Die Tür zum Speisezimmer steht offen, solange die Diener kommen und gehen. Was passiert wohl, wenn ich losrenne? Ob Gabriel oder einer der anderen Diener mich aufhalten würde? Letztendlich ist es die Furcht davor, was mein neuer Ehemann tun würde, die mich zurückhält. Denn wenn ich rennen würde, käme ich sicher nicht weit, bevor man mich wieder einfinge. Und was dann? Wahrscheinlich würde ich wieder in meinem Zimmer eingesperrt werden und mir würde für immer der Ruf anhängen, die zu sein, der man nicht trauen kann.
Also bleibe ich und beteilige mich an einem Gespräch, das angestrengt und widerlich fröhlich ist. Linden selbst redet nicht viel. Er scheint mit den Gedanken woanders zu sein, während er Löffel für Löffel die Suppe zum Mund führt. Cecily lächelt ihn an und sie lässt sogar ihren Löffel fallen, ich glaube, nur damit er sie ansieht.
Hausprinzipal Vaughn redet über den hundertjährigen Garten und wie süß die Äpfel sind. Selbst Früchte und Büsche bekommen etwas Unheimliches, wenn er darüber spricht. Seine Stimme klingt leise und kratzig. Mir fällt auf,
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