Totgeglaubt
fürchtete, irgendetwas zu entdecken, das seiner Mutter gehörte.
“Sie scheinen sich hier mit mir unbehaglich zu fühlen”, stellte Allie stirnrunzelnd fest. “Stimmt was nicht?”
“Alles okay”, versicherte er und trat über die Schwelle.
Das Blockhaus war nur etwa dreieinhalb mal fünf Meter groß und erinnerte an eine alte Bergarbeiterhütte. An der Wand stand ein Doppelbett. Vor einem offenen steinernen Kamin, ausgestattet mit Schürhaken und Spieß, stand ein Esstisch. Drei dicke Holzblöcke waren grob zu Stühlen behauen worden und um den Tisch gruppiert. Vor dem Fenster hing ein weißes Laken. Ein kleines Bücherregal neben dem Bett, ein paar einzelne Schränkchen, ein Bord mit Kochutensilien über der Feuerstelle und ein Knüpfteppich auf den Holzdielen vervollständigten die Einrichtung.
“Gibt es kein Badezimmer?”, fragte er.
“Ein Stück flussabwärts gibt es ein Plumpsklo. Jetzt am Abend braucht man eine Taschenlampe, sonst findet man es nicht.”
“Wie lange hat Ihr Vater diese Hütte schon?”
“Solange ich mich erinnern kann.” Sie machte eine ausladende Geste. “Der pure Luxus, nicht wahr?”
Natürlich war es das nicht, aber dafür herrlich anheimelnd. Nach all der unfreiwilligen Aufmerksamkeit, die Clay sein Leben lang wie eine Last empfunden hatte, fühlte er sich, als wäre er geradewegs in eine andere Welt hineingestiegen, eine Welt, in der er sich ausruhen und vor den neugierigen Blicken in Stillwater verbergen konnte.
Man konnte sich sehr gut vorstellen, dass Dale und Irene hier ein ähnliches Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit verspürten. Clay war sich fast sicher, dass er hier in ihrem Liebesnest war – auch wenn er, zum Glück, keine offensichtlichen Hinweise auf Besuche seiner Mutter entdeckte.
“Vielleicht wird mein Vater die Hütte eines Tages etwas ausbauen”, erklärte Allie.
Clay schüttelte den Kopf. “Schade. Ich mag sie so, wie sie ist.”
“Wenn Sie öfter hier kochen würden, dann würden Sie das Primitive nicht mehr so schätzen”, sagte sie. “Ich selbst hätte schon ganz gern fließend Wasser und Elektrizität. Und ich kann mir auch was Schöneres vorstellen, als mitten in einer kalten dunklen Nacht zum Plumpsklo zu stapfen.” Sie stellte den Picknickkorb auf den Tisch. “Aber dafür, dass dieser Ort so wunderbar abgeschieden ist, ist man gar nicht so weit von der Zivilisation entfernt.”
Sie blickte auf, weil sie irgendeine Reaktion auf ihre Bemerkung erwartete, aber Clay hatte nur mit einem Ohr zugehört. Er wunderte sich gerade darüber, dass er Allie anfangs gar nicht so attraktiv gefunden hatte. Dabei war sie so geistvoll und schlagfertig, so optimistisch und energiegeladen. Sie weckte
Gefühle
in ihm! Sehnsucht, Hoffnung und ein tief liegendes Begehren. Und das, wo er gerade beschlossen hatte, sich auf keine Frau mehr einzulassen, sich unangreifbar zu machen! Stillwater war für ihn zu einem Ort der Stagnation geworden, zu einem Ort, der immer noch stoisch um Ereignisse kreiste, die neunzehn Jahre zurücklagen. Und kaum war Allie zurück, schien sich alles zu ändern …
Clay genoss die Gefühle, die sie in ihm weckte, ja, er sehnte sich regelrecht danach. Gleichzeitig aber hatte er Angst vor der Hoffnung, die in ihm wachsen würde. Denn letztlich, das war ihm klar, würde niemand sein Leben zum Positiven wenden können – und schon gar nicht das, was in der Vergangenheit passiert war …
“Was ist?”, fragte sie, als sie merkte, dass er sie einfach anstarrte.
“Wundervoll”, sagte er.
Sie lächelte, als wäre sie überrascht, dass es ihm hier so gut gefiel. Dabei hatte er gar nicht die Hütte gemeint. “Ich hoffe, Sie haben Hunger.”
“Was gibt es denn?” Er linste in den Korb. “Oder wollen Sie erst Ihre spitzfindigen Fragen loswerden?”
“Machen Sie sich mal um die Fragen keine Sorgen. Ich fülle Sie vorher mit Wein ab. Dann krieg ich vielleicht mehr aus Ihnen heraus”, sagte sie mit einem Augenzwinkern.
Er zog die Augenbrauen hoch. “Mehr
wovon?”
Sie ging nicht weiter auf die Doppeldeutigkeit ein. “Mehr, als Sie normalerweise sagen. Was nicht unbedingt viel ist.” Sie kaute auf ihrer Unterlippe, was Clay ziemlich sexy fand. Sie hatte so volle sinnliche Lippen. So ein herrlicher Kussmund! Er stellte sich vor, wonach sie wohl schmeckten, aber sie holte ihn gleich wieder zurück ins Gespräch. “Warum tun Sie das? Warum ziehen Sie so eine hohe Mauer um sich?”
Clay fand langsam, dass sie beide viel
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