Totgeglaubt
entscheiden!”
“Fein.” Sie erklärte ihm, wie er zum Gästehaus kam, und versprach, dort auf ihn zu warten. Von dort aus würden sie losfahren. “Kommen Sie um halb neun.”
Sein Blick wanderte über ihren Körper. Die Bluse, die sie trug, gab nicht sonderlich viel preis. Sie rief nicht einmal in der Kirche ein Stirnrunzeln hervor; genau aus diesem Grund hatte Allie sie am Morgen angezogen. Doch jetzt, unter Clays Blick, fühlte sich der weiche Batist fast durchsichtig an.
Ihr Herz begann unvermittelt, zu hämmern. Polizistin hin oder her – offensichtlich war Allie doch nicht ganz so immun gegen Clays Sex-Appeal, wie sie es sich gewünscht hatte.
Unsere Beziehung ist rein professionell. Natürlich.
“Dann bis halb neun”, sagte er und ging zurück ins Haus, als wäre es ihm vollkommen egal, ob sie weiter auf seinem Grundstück herumstrich oder nicht. Trotzdem vermutete sie, dass sie jetzt, wo er von ihrer Anwesenheit wusste, mit ihrer Schnüffelei nicht weit käme. Clay war bekannt dafür, dass er sich und sein Anwesen bestens zu schützen wusste.
Mit einem Seufzer schlängelte sie ihren Fuß zurück in den hochhackigen Schuh, den sie verloren hatte, stieg in ihren Wagen und fuhr zu Bonnie Ray. Ihr war tatsächlich ein privater, abgeschiedener Ort für das Abendessen mit Clay eingefallen. Dieses Plätzchen war genau die richtige Wahl, damit Clay sich dort wohlfühlen und entspannen und endlich reden könnte. Aber er war die gänzlich falsche Wahl, wenn Clay tatsächlich so gefährlich war, wie ihr Vater vermutete.
War sie verrückt, es darauf ankommen zu lassen? Vielleicht. Dabei fürchtete sie gar nicht mal so sehr, dass Clay ihr dort etwas antun, sondern vielmehr, dass es ihr dort mit ihm zu gut gefallen könnte. Das Letzte, was sie brauchte, war, mit ihrem Hauptverdächtigen intim zu werden.
Clay holte Allie mit seinem Truck ab. Sie bestand darauf, zu fahren, und so tauschten sie die Plätze.
Sie fuhren fast eine Dreiviertelstunde, bis sie eine abgelegene Anglerhütte oberhalb des Pickwick-Sees erreichten. Dort stellte Allie den Motor ab, nahm den Picknickkorb, den sie zwischen die Sitze geklemmt hatte, und stieg aus.
Clay wusste nicht genau, ob er ihr folgen sollte. Er hatte keine Ahnung, wo Irene und Dale ihre gemeinsamen Stunden verbrachten, vermutete aber, dass es nicht allzu weit von Stillwater entfernt sein konnte, denn keiner von beiden war je länger fort gewesen. Und Clay bezweifelte, dass der Polizeichef das Risiko eingehen würde, Irene in seinem Gästehaus in der Stadt zu treffen. So gesehen schien die kleine Anglerhütte – laut Allie der Lieblingszufluchtsort ihres Vaters – eine geradezu ideale Option. Sie war stets verfügbar und gut erreichbar für Dale, sehr privat und abgelegen, und wurde von Evelyn wahrscheinlich so gut wie nie genutzt.
Clay schaute zu der Hütte hinüber, die Allie bereits betreten hatte. Er wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass sie ihn an einen solchen Ort mitnehmen würde. Er hatte nicht einmal von der Existenz der Hütte gewusst. Aber jetzt, da er sie vor sich sah, konnte er sich sehr gut vorstellen, wie Allies Vater Irene anrief und sie bat, ihn hier für ein paar Nachmittagsstunden zu treffen.
Und ob er es wollte oder nicht, führte ihm seine Fantasie sofort die entsprechenden Bilder vor Augen.
“Wollen Sie nicht kommen?”, rief Allie von der Treppe her. Der Schein einer Kerosinlampe tanzte flackernd über ihren Körper. Sie schien nicht so recht zu wissen, wie sie sein Zögern deuten sollte, aber zumindest sah sie nicht so aus, als hätte sie gerade Hinweise auf eine Affäre ihres Vaters entdeckt.
Clay atmete tief aus, stieg aus dem Auto und näherte sich der Hütte.
“Ein abgeschiedener Ort, in der Tat”, bemerkte er.
“Mein Vater fährt fast jeden Sonntag hier raus”, sagte sie. “Er angelt gern.”
“Mit Ihnen?”
“Als mein Bruder und ich jünger waren, hat er uns mitgenommen. Jetzt fährt er meistens alleine.”
Zumindest tut er so, als ob, dachte Clay. “War er heute nicht hier?”
“Nein, er hatte zu viel zu tun. Er war zu Hause, als wir losgefahren sind.”
Das klang beruhigend. “Ich kann verstehen, warum es ihm hier gefällt.”
Der einsame Gesang einer Schwarzkehl-Nachtschwalbe, der aus dem dunstigen Wald aufstieg, kam Clay lauter vor als alles, was er je gehört hatte. Er mochte das Geräusch und auch das Gefühl der Einsamkeit, das die dichte Vegetation vermittelte. Doch an der Tür zögerte er erneut. Er
Weitere Kostenlose Bücher