Totgeglaubt
hatte. Im Gegenteil: Sie hatte wie eine Klette an Clay gehangen, obwohl er immer wieder versucht hatte, sich unauffällig von ihr loszumachen. “Und obwohl Sie Angst vor ihm hatten, sind Sie heute Abend zu ihm herausgefahren, um …” Sie ließ ihren Satz bewusst in der Schwebe.
“Wir sind ein Paar.”
“Aber …”
“Er hat mich angegriffen!”
“Was ist vor diesem Angriff passiert?”
“Wir … wir hatten Streit.”
Allie schwieg und wartete, dass Beth Ann fortfuhr. Wenn sich das Schweigen in einem Gespräch übermäßig in die Länge zog, redeten die meisten Leute weiter – und verrieten dabei oft mehr, als ihnen lieb war. Manchmal war Schweigen der beste Weg, um die Wahrheit zu ergründen.
“Ich … ich habe ihm erzählt, dass ich schwanger bin.” Beth Ann wischte sich eine Träne weg. “Aber er … er bestand auf einer Abtreibung. Als ich das abgelehnt habe, hat er mich geschlagen.”
Im schummerigen Licht des Wagens konnte Allie keinerlei Spuren einer Auseinandersetzung in Beth Anns Gesicht erkennen. Kein Blut jedenfalls, lediglich etwas verschmiertes Make-up. Und außerdem erzählte Beth Ann diesen Teil der Geschichte, der sie eigentlich am stärksten hätte aufwühlen müssen, in einem fast abgeklärten Ton. Sie schien fast ruhiger als vorher. “Wo?”
“Im Haus.”
“Nein, ich meine: Wohin hat er Sie geschlagen? Wo hat er Sie getroffen?”
Beth Ann machte eine vage Handbewegung. “Überallhin. Er wollte mich umbringen!”
Allie räusperte sich. Sie konnte sich noch kein klares Bild von Clay Montgomery machen, aber eines stand fest: In den letzten neunzehn Jahren war er nicht gerade großzügig mit Selbstauskünften gewesen. Sie bezweifelte sehr, dass er auf einmal freimütig seine Schuld an einem so schweren Verbrechen gestand. Und das auch noch ausgerechnet jemandem wie Beth Ann, die er dann geradewegs zur Polizei laufen ließ. Wenn er ihr wirklich hätte wehtun wollen, dann würde sie wohl kaum unversehrt hier im Wagen sitzen – auf seiner Einfahrt. Wie Beth Ann selbst zugegeben hatte, war sie mit ihrem eigenen Auto hier und hatte den Zündschlüssel in ihrer Handtasche. Aber anstatt den Ort der Bedrohung so schnell wie möglich zu verlassen, hatte sie es vorgezogen, hier auf Allie zu warten. “Wie haben Sie sich befreien können?”
“Ich … weiß es nicht. Es ist alles so verschwommen.”
Allie kräuselte die Lippen. Das Einzige, was Beth Ann glasklar in Erinnerung hatte, war offenbar Clay Montgomerys Mordgeständnis.
Sie griff nach dem Notizbuch, das sie immer im Wagen hatte, und schrieb Beth Anns Aussage auf. Dann blickte sie besorgt nach draußen. “Bleiben Sie hier. Ich will kurz hören, was Mr. Montgomery zu sagen hat. Danach folgen Sie mir bitte aufs Revier und geben Ihre Aussage zu Protokoll. Es sei denn, Sie möchten erst ins Krankenhaus fahren”, fügte sie, die Hand schon am Türgriff, hinzu.
Beth Ann überhörte den Vorschlag mit dem Krankenhaus. “Ein Protokoll?”
“Versuchter Mord ist kein Kavaliersdelikt, Miss Cole. Sie möchten doch wohl, dass die Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleitet, oder?”
Beth Ann strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. “Ja … ja, eigentlich schon.”
“Sie haben mir erzählt, dass Mr. Montgomery Sie in der Absicht angegriffen hat, Sie zu töten.”
“Ja, das hat er. Sehen Sie das hier?” Beth Ann streckte ihren Arm aus.
Allie musterte die leichten Kratzspuren. Das war wohl kaum die Art von Verletzung, die Clay einem zufügen würde, vermutete sie. In einem Kampf zielten Männer typischerweise aufs Gesicht oder in die Körpermitte. Trotzdem musste sie die Verletzung dokumentieren, für alle Fälle. “Wir werden das nachher fotografieren. Haben Sie noch andere Kratzer, Schnittwunden oder Prellungen?”
“Nein.”
“Und wie oft hat er Sie geschlagen?”
“Ich denke, er hat mich nicht so hart getroffen”, antwortete Beth Ann. Sie ruderte damit schon deutlich zurück. “Er hat mich gekratzt, als ich versuchte, zu entkommen. Er hat mich mehr erschreckt als verletzt.”
Eine kleine Kratzwunde hörte sich schon anders an als versuchter Mord. “Wie sieht es mit seinem Mordgeständnis aus? Erinnern Sie sich denn daran noch genau?”
“Ja, natürlich.”
Doch Allie hatte auch da ihre Zweifel. “Würden Sie das auch zu Protokoll geben?”
Beth Ann starrte auf das Haus. “Kommt er ins Gefängnis, wenn ich das tue?”
“Würde Sie das freuen?”
“Mich und fast jeden Einwohner von
Weitere Kostenlose Bücher