Totgelesen (German Edition)
Wenn und Aber, ohne zaudern. Heute! Er hatte sich - ohne großartig darüber nachzudenken - in sein Auto gesetzt und war an den See gefahren. In dem kleinen Waldstück, welches im Sommer als Campingplatz genutzt wurde, hatte er sein Auto abgestellt, war um den See geschlendert und hatte gewartet. Er ahnte, dass sie kommen würde. Es musste einfach so sein.
Hinter dem blau-weißen Pavillon verlor er sie aus den Augen. Das Adrenalin schoss durch seine Venen. Wo war sie? Warum kam sie nicht wieder zum Vorschein? Er beschleunigte sein Tempo, als ob er damit auch ihres beschleunigen könnte. Sie kam nicht.
»Sie hat mich entdeckt! Sie weiß es.«
Resigniert blieb er stehen.
»Aus, vorbei, alles umsonst.«
Da! Sie kam hinter dem Pavillon hervor. Er sah, wie sie sich ihre Jogginghose zurecht zog.
Sie war pinkeln! »Das hättest du dir sparen können«, knurrte er zornig. Seine Enttäuschung schlug in Wut um. Wieso spielte sie mit ihm? Bis vor wenigen Minuten wusste er noch nicht, ob er es schaffen würde. Jetzt war er sich sicher. Er war bereit.
Prompt lief sie weiter, er auch. Mit jedem Schritt verringerte sich ihr Abstand zur Brücke. Nur noch wenige Meter.
Die Brücke ragte vor ihm in die Höhe. Erneut verlor er sie aus den Augen, aber diesmal konnte er ihre Anwesenheit spüren. Als er seinen Fuß auf die Brücke setzte, war es, als ob er mit ihr verbunden wäre, als ob es nur noch sie beide geben würde. Er sah sie nicht - fühlte nur ihre Bewegungen, die die Brücke vibrieren ließen. Zuerst erkannte er nur ihre blonden Haare, allmählich auch die Einzelheiten ihres Gesichtes. Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn, ihre Wangen glänzten rot. Er wandte sein Gesicht ab und wechselte nach rechts. Er musste so neutral und abwesend wie möglich wirken.
Nur noch wenige Meter trennten sie. Er fasste nach seiner Bauchtasche. Mit einem Ruck öffnete er den Reisverschluss und zog einen glänzenden Gegenstand heraus. Sein Atem ging stoßweise, sein Herz raste. Er schlug einen Haken und wechselte auf ihre Seite. Zum ersten Mal nahm sie ihn bewusst wahr. Beim Anblick des Messers in seiner Hand weiteten sich ihre Augen vor Schreck, doch da war es bereits zu spät. Ein Stich. Wie in Zeitlupe öffnete sie den Mund, um zu schreien. Zuerst kam nichts als ein leises Krächzen, dann erschütterte ein Schrei die Luft. Mit der rechten Hand versiegelte er ihren Mund, mit der anderen hielt er sie umklammert, während er sie gegen das Brückengeländer drückte. Der Schrei verebbte, trotzdem dröhnte er in seinen Ohren weiter. Sie schlug wild um sich. Durch Adrenalin aufgeputscht, fühlte er sich übermenschlich. Sie ließ ihr Bein nach vorn schnellen, eher instinktiv, als noch bewusst. Traf ihn aber dennoch in seinen empfindlichsten Bereich. Schmerzen durchzuckten ihn wie tausend kleine Blitze. Er lockerte seinen Griff, als er nach vorn sackte. Sie kämpfte sich frei, und versuchte zu entkommen. Sie schaffte es nur ein Stück die Brücke hinauf. Schock, Schmerz und Blutverlust waren zu große Gegner.
Noch immer nach Luft ringend, taumelte er ihr nach. Als er sie erreichte, packte er sie am Oberarm. Sie stöhnte um Hilfe, zum Schreien reichte ihre Kraft nicht mehr. Seine Schmerzen kamen und gingen, wurden erträglicher - ihre hingegen schlimmer. Sie versuchte sich nochmals zu wehren, verlor aber schnell an Kraft und sackte zusammen, als er nach dem Messer griff, das noch immer in ihr steckte und es genussvoll herauszog.
Motorenlärm, kurz darauf das Zuschlagen einer Tür, ein Hund bellte. Er musste sich beeilen, seine Tat zu Ende bringen. Der zweite Kampf hatte ihn keine Kraft gekostet. Er zog sie hoch und stieß sie über das Brückengeländer in den eiskalten See, der sie gierig verschlang. Dann spurtete er kraftvoll davon.
Montag, 22. Februar
Monika Mühlbacher wartete am See. Sie war die Neue beim Landeskriminalamt Steiermark und es war ihr erster Mordfall als leitende Ermittlerin. Diesen Umstand verdankte sie ihrer Zielstrebigkeit und ihrem Durchsetzungsvermögen. Vielleicht aber auch der Tatsache, dass der bisherige Chefermittler seit einer Woche seine Pension genoss und ein anderer seit zwei Jahren im Krankenstand weilte. Mit ihren 35 Jahren trotzdem ein Erfolg.
Ein Windstoß zerzauste ihre braune Lockenmähne. Mechanisch zog sie ein Gummiband von ihrem Handgelenk und band die Haare damit zusammen. Wenn sie sich in einem Spiegel hätte betrachten können, wäre sie ausgesprochen zufrieden gewesen. Ihr Haar - das
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