Tradingpsychologie
würde.
Am nächsten Tag war ich Teil dieser großen Vision namens Zukunft. In Fonds und Aktien. Ich hatte sogar eine Versicherung dafür noch aufgelöst. Wenn schon reich werden, dann richtig, dachte ich. Nun Sie können sich ja denken, wie das Spiel ausgegangen ist. Sechs Monate später wünschte ich mir, ich wäre nie auf dieser Veranstaltung gewesen und hätte mein Geld damals lieber auf dem Sparbuch gelassen.
Selbst die größten deutschen Aktiengesellschaften verloren 90 Prozent ihres Wertes beim großen Knall des Neuen Marktes. Und ich dachte seinerzeit voller Überzeugung, ich sei schlau, wenn ich meine Versicherungspolice auflösen und mein Geld direkt in diesen Global Player investieren würde. Selbst gut zehn Jahre später haben diese Aktien nie wieder auch nur annähernd ihren damaligen Wert erreicht. Besäße ich sie noch heute, lägen sie immer noch mit fast 75 Prozent im Minus. Nein, ich habe diese und alle anderen Aktien schon lange abgestoßen. Die meisten hatte ich natürlich am Tiefpunkt aus Angst verkauft. Andere Werte lösten sich in Luft auf. Der grandiose Zukunfts-Fonds – »Den muss man heute einfach im Depot haben!« – ist genauso wenig real wie der vollautomatische Einkaufsservice via Internet. Heute steht meine Biokiste vor der Tür, für den Rest stehe ich immer noch an der Supermarktkasse an. Es dauert wohl noch ein bisschen bis zur Konsumrevolution.
Freunden und Bekannten ging es genauso wie mir oder noch schlimmer. Sie hatten sich zum Teil mit den erhofften Gewinnen schon eine Eigentumswohnung oder ein Haus gekauft. Doch anstelle von Reichtum hatten sie nach dem großen Crash große Schuldenberge. Ich hatte glücklicherweise keine Schulden. Aber Geld hatte ich auch nicht mehr.
Noch lange nach diesen sehr enttäuschenden Erlebnissen war ich fest davon überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Ich hatte, wie alle anderen, einfach nur Pech. So kannte ich das Spekulieren mit Aktien: Aktien kaufen, weil man einen Tipp bekam – und dann halten, bis sie genug im Gewinn sind. Wann denn genug ist, wusste ich nicht. Ich wusste auch nicht, dass Aktien sich in Phasen befinden: Aufwärtstrend, Abwärtstrend, Seitwärtsphase. Auch dass man einen Stopp setzen kann, war mir völlig unbekannt. Aktien wurden gekauft, und wenn sie ins Minus liefen, dann wartete man eben, bis sie wieder im Gewinn liegen würden. Dass das Im-Gewinn-Liegen niemals mehr sein würde, war für mich und andere undenkbar. Aktienanlage war doch ganz einfach und auch so logisch. Schließlich machte es mein Bankberater doch genauso. Und er machte es tatsächlich so! Und was noch schlimmer ist – er macht es heute immer noch so. Aber ich wusste damals ebenso wenig, dass ich von einem als Profi verkleideten Laien lernte. Ich war vollkommen davon überzeugt, als er mir erzählte, dass Profis so an der Börse investieren. Ich kam nicht einmal auf die Idee, ein Buch darüber zu lesen. Ich glaubte ja, mit diesem Bankberater einen Profi an meiner Seite zu haben. Wenn ich heute darüber nachdenke, könnte ich vor Wut all die Orders fressen! Mein einziger Trost ist und bleibt die Tatsache, dass ich es eben nicht besser wusste. Ich tat nur, was ich glaubte oder zu wissen glaubte. Nicht mehr und nicht weniger. Punkt!
Einige Jahre später kam ich in dem Sportcenter, in dem ich dreimal wöchentlich trainierte, mit einem jungen Typen ins Gespräch. Er erinnerte mich an einen Türsteher einer schicken Discothek. Er hatte ein Kreuz wie ein Kleiderschrank und Oberarme, die in etwa dem Umfang meiner Oberschenkel entsprachen. Als Türsteher einer Feudaldisco sah er zu intelligent aus und seine Augen ließen einen ruhigen, sanftmütigen und tiefsinnigen Charakter erkennen. Wir trainierten beide schon lange dort. Aber ich hatte ihn vorher nie wirklich wahrgenommen. Obwohl er mit seinem sehr gut durchtrainierten Körper wahrlich kaum zu übersehen war.
Ich erinnere noch, wie ich damals auf dem Fußboden auf einer Gummimatte lag so wie schon die letzten zwanzig Jahre zuvor auch und vergeblich versuchte, mir einen Waschbrettbauch anzutrainieren. Irgendwann hörte ich ihn etwas Fundiertes über den Dax sagen. Mir kam das seltsam vor, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er sich damit auskannte. Ich verwickelte ihn in ein Gespräch »Hey, ich bin Norman!«, »Hallo, ich heiße Christoph!« – weil ich irgendwie ahnte, dass er mehr zum Thema Börse wusste, als ich vermutete. Wir sprachen sofort über die Märkte und hörten überhaupt
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