Tradingpsychologie
entgegengesetzte Variante sind Verluststrecken, die uns schließlich dazu zwingen, unbedingt einen Erfolg verbuchen zu müssen. Dann hat das Angstzentrum die Führung übernommen und will vermeiden, dass wir uns als Versager fühlen und unangenehme Gefühle oder gar Ängste empfinden. Der Trader möchte dann unbedingt wieder in seine Komfortzone zurück – Trade für Trade, koste es, was es wolle.
Ich erinnere mich an einen Klienten, der zu mir kam, weil er sich wegen dieses Themas so verloren fühlte. Diese Verlorenheit ließ sich auch gut auf seinem Konto ablesen. Je mehr er tradete, desto kleiner wurde sein Konto. Und wie ich im Live-Coaching erkennen konnte, tradete er viel, zu viel. Es zeigte sich deutlich, dass nicht er den Markt unter Kontrolle hatte, sondern der Markt offensichtlich ihn. Er handelte. Oder um es deutlicher zu sagen, er musste sieben Märkte gleichzeitig handeln. Auf seinen Computer-Monitoren sah man insgesamt fünfzehn kleine Charts im Zeitfenster von einer und fünf Minuten. In jedem Augenblick huschte er hecktisch mit seiner PC-Maus über die Bildschirme. Ich konnte beobachten, wie er innerhalb der Charts ständig in den Zeiteinheiten hin- und hersprang. Vom Ein-Minuten-Chart wechselte er zum Fünf-Minuten-Chart, um dann blitzschnell auf den Fünfzehn-Minuten-Chart zu springen. Sofort fand er irgendwo ein Muster oder eine Einstiegschance, zog eine Trendlinie, setzte ein Retracement an, um dann kurz darauf zum nächsten Markt zu wechseln. Hier passierte das gleiche Spiel von vorn, er verglich beide Märkte miteinander, sprang erneut in die Zeiteinstellungen. Es schien, als würde er ein Computerspiel spielen und auf der Jagd nach Feinden sein. Währenddessen kommentierte er seine Handlungen: »Hier ist eine super Unterstützung, wenn die nächste Kerze hier gleich aufsetzt, dann springt der Markt bestimmt wieder nach oben – tolle Long-Chance, da kann ich reingehen. Und was wird das hier? Das sieht aus wie das typische Setup von Trader XY, das könnte ich natürlich auch gleich nehmen, macht der bestimmt auch. Mal sehen, was wir hier haben? Ja, super 61,8 Prozent Retracement auf Stundenbasis, besser geht es nicht. Da schaue ich mal, wie das auf dem Fünf-Minuten-Chart aussieht. Nee, wird nichts – und auf dem Ein-Minuten-Chart? Das könnte gleich was werden. Ja, long gehe ich mit.«
Seine Selbstgespräche klangen, als würde er einen Trading-Wettkampf live im Fernsehen oder für das Radio kommentieren. Allein vom Zusehen und Zuhören wurde ich ganz konfus. Ich konnte teilweise gar nicht mehr erkennen, in welchem Markt er sich gerade befand. Ich hörte immer nur: »Hier ist eine Chance, da könnte man kaufen, hier verkaufen.« Das Schlimme war, er tat es auch. Ehe ich meinen Kaffee austrank, hatte mein Klient auch schon zwei Trades platziert und wiederglatt gestellt. Er tradete wie von Sinnen. Ich fragte ihn dann, welches Setup er eigentlich handeln würde. »Viele«, war seine Antwort. Das hatte ich mir gedacht. Ich wollte wissen, wie viele. »Ja, so zwanzig bis dreißig sind es schon, eher dreißig als zwanzig.« Kein Wunder, dass ich hinter seinem Trading kein Konzept erkennen konnte. Ich fragte ihn nach einiger Zeit, wie erfolgreich die Setups denn im Einzelnen so seien. »Ja, mal besser, mal schlechter. Einige sind sehr gut, manchmal jedenfalls.« Ich sagte dann, dass, wenn ich ihn richtig verstehe, er sozusagen auf alles schießt, was sich bewegt, Hauptsache die Feinde werden erlegt? Das fand er gut: »Ja, das klingt ganz passend. Trading ist ja auch so eine Art Kampfarena, der Stärkere gewinnt«, antwortete er flink. »Und Ihre Waffen scheinen Ihre Einstiege zu sein?«, führte ich das Bild weiter fort. »Ja, sozusagen, aber leider trifft nicht jeder Schuss. Aber wie heißt es so schön: Viel hilft viel!«, meinte er und lachte dabei. Woraufhin ich lachend zurückgab: »Das sieht Ihr Konto, glaube ich, ganz anders!« »Ja, das ist ja das Problem«, konterte er. »Signale habe ich genug, aber wohl nicht immer die richtigen. Aber ich habe ja genug.«
Meinem Klienten fehlte es vor allem an zwei Dingen. Erstens wusste er überhaupt, nicht welche Signale wirklich profitabel waren und welche nicht. Durch das viele Trading verlor er vollkommen den Überblick und er konnte die ganze Flut der Trades gar nicht professionell und strukturiert kontrollieren. Zweitens ging es ihm darum, beschäftigt zu sein. Ruhe und Nichtstun waren für ihn der Horror. Er glaubte, als Trader war es seine
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