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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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markante
     Geruch, den sie seit Kindheitstagen kannte: eine Mischung aus Leder, Bohnerwachs, Waschmittel und Textilerfrischer.
    Das Kaufhaus hatte zwei Etagen, die durch eine breite Holztreppe mit schnörkeligem Metallgeländer verbunden waren. In der
     oberen Etage war die Herrenabteilung, in der unteren gab es alles für die Dame. Der Boden war aus altem Parkett, das knarzte,
     wenn die Kunden darüberliefen.
    Trixi blieb im Eingangsbereich stehen und ließ den Blick über den großen Verkaufsraum schweifen. Am Verkaufstresen tippte
     eine stark geschminkte Verkäuferin mit hellblau lackierten Fingernägeln auf einem Handy. Hinter der altertümlichen Registrierkasse,
     deren Tasten denen einer Schreibmaschine ähnelten, wirkte sie wie eine Zeitreisende aus der Zukunft.
    Der Trubel, der in Trixis Kindheit an einem Sonnabend im Kaufhaus geherrscht hatte, war Vergangenheit.Zwischen den Kleiderständern schritten vereinzelte Kundinnen entlang, den Blick kritisch auf die Ware gerichtet. Vor einem
     Spiegel zupfte eine ältere Frau an einem Blazer. Ein ungefähr achtjähriger Junge probierte Hüte von einem Wühltisch auf. Eine
     andere Verkäuferin mit grauschwarzen Haaren lehnte oben in der Herrenabteilung am Treppengeländer, spielte mit einem Ring
     an ihrem Finger und sah entrückt nach unten.
    Von Flora war nichts zu sehen. Sie konnte oben in der Herrenabteilung sein. Auf der Kundentoilette. Oder   ...
    Trixis Blick fiel auf die Umkleidekabinen am hinteren Ende des Verkaufraums. Es waren insgesamt sechs Kabinen. Im Gegensatz
     zu den meisten Umkleidekabinen in den neueren Kaufhäusern waren diese hier sehr groß. Trixi und ihr Bruder hatten früher darin
     Verstecken gespielt. Jede Kabine hatte einen schweren dunkelroten Vorhang aus Samt. Bei einer der sechs Kabinen war der Vorhang
     zugezogen.
    Einen Moment zögerte Trixi. Vielleicht wollte Flora ihre Ruhe haben. Was sollte sie ihr schon sagen? Dass sie Andro vergessen
     musste? Dass Ivana eine blöde Kuh war, auch wenn das nicht stimmte, es aber vielleicht das war, was Flora hören wollte? Dass
     ein anderer kommen würde, auch wenn sie sich das im Moment weder vorstellen konnte noch wollte?
    Langsam ging Trixi auf die Umkleidekabine zu. Eswar die Kabine am äußersten rechten Rand. Vielleicht konnte sie Flora nichts sagen. Nichts, was wirklich wichtig war. Aber
     sie konnte ihr zuhören. Und irgendwann konnte sie Flora da wieder rausholen.
    Trixi blieb vor der Kabine stehen. »Flora?«, sagte sie leise.
    Keine Antwort.
    Trixi wartete einen Moment. Aus der Umkleidekabine kam ein Geräusch. Eine Art Winseln. Wie ein Tier, das in eine Falle geraten
     war und nicht mehr herauskam. »Flora?« Trixi bückte sich kurz und sah durch den kleinen Spalt, den der Vorhang zwischen dem
     Fußboden ließ. Sie erkannte Floras graue, flache Sommerschuhe.
    Sie richtete sich wieder auf. »Flora, kann ich reinkommen?«
    Statt einer Antwort drang abermals ein Geräusch aus der Kabine. Flora fauchte, als würde sie Luft durch die Zähne ziehen.
    Trixi sah einen Augenblick unentschlossen auf den dunkelroten Vorhang, dann hob sich ihr Arm wie von selbst. Langsam schob
     ihre Hand den Vorhang ein Stück zur Seite. »Flo-« Trixi verstummte.
    Flora stand mit dem Rücken zu Trixi vor dem Spiegel. Sie hielt den Kopf gesenkt, die Haare fielen nach vorne, bedeckten ihr
     Gesicht wie Rabenflügel. Die schmalen Schultern wurden von einem unsichtbaren Gewicht nach unten gezogen. Flora zitterte am
     ganzen Körper.
    Leise trat Trixi in die Kabine und ließ den schweren Vorhang hinter sich zufallen. Sie hob zögerlich einen Arm, ließ ihn einen
     Moment über Floras Schulter schweben, dann wieder sinken. »Flora, ich   ...« Plötzlich fiel Trixis Blick auf Floras Spiegelbild. Ein Schrecken, beißend wie ein Schmerz, schoss durch ihren Körper.
     Wie ein Hagel aus Fotos, die immer näher an das Objekt heranzoomten, strömten die Bilder auf sie ein: Floras Arme. Das graublaue
     Langarmshirt. Die dunklen Flecken. Die dicke, dunkelrote Flüssigkeit. Die roten Striemen. Ihre Hände. Fingernägel, rotschwarz.
     Blut. Blut. Blut. Floras Augenlider. Gesenkt. öffnen sich wie in Zeitlupe. Ihr Blick. Schwarz und fremd. Besessen.
    »Scheiße, Mann, du blutest!«, rief Trixi, fasste Flora an den Schultern, drehte sie zu sich herum und wollte einen von Floras
     Ärmeln hochziehen.
    »Lass das! Lass mich in Ruhe!«, schrie Flora, versuchte, sich aus Trixis Griff zu befreien.
    Trixi achtete nicht auf Floras

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