Traeume doch einfach weiter
Regal nach Romanen von Johanna Lindsey oder
Nora Roberts zu durchstöbern.
The Strand war
legendär. Nicht nur wegen der schier unvorstellbar großen Auswahl an Büchern
aus zweiter Hand, sondern auch, weil die Mitarbeiter alle unglaublich intellektuell
und entsprechend arrogant waren. Dan war überglücklich, den Job bekommen zu
haben. Er hatte seine Schwester Jenny, die ihre Mutter in Prag besuchte und an
irgendwelchen Malkursen teilnahm, vor ein paar Tagen zum Kennedy Flughafen
gefahren und war anschließend ins The Strand gegangen, weil er sich ein bisschen
einsam gefühlt und nicht so recht gewusst hatte, was er mit den vor ihm
liegenden Sommermonaten anfangen sollte. Es war ihm wie ein göttliches Zeichen
erschienen, als er den Aushang »Aushilfe gesucht« entdeckt hatte.
Jetzt kniete er
also in der besten Buchhandlung New Yorks am Boden und sortierte Bücher.
Allerdings hatte The Strand verglichen mit anderen Buchhandlungen null
Atmosphäre. Es gab keine leise Musik im Hintergrund, keine Cafetheke, nichts
als endlose Reihen unterschiedlich hoher und beliebig zusammengestellter
Regale, in denen sich Titel an Titel quetschte.
Dan schob sein
mit verstaubten Büchern beladenes Wägelchen durch die engen Regalreihen. In
seinem Aufgabenbereich arbeitete er selbstständig und hatte keinen
Kundenkontakt, weshalb ihm reichlich Zeit zum Nachdenken blieb: über Literatur
im Allgemeinen, über seine Gedichte, wie er sich wohl ab Herbst am Evergreen
College in Washington zurechtfinden würde, und vor allem darüber, wie er
seinen letzten Sommer in New York - seinen letzten Sommer mit Vanessa -
gestalten könnte. Er hatte auf seiner Abschlussfeier für einen kleinen Eklat
gesorgt, als er öffentlich verkündete, auf sein Studium zu verzichten, um an
ihrer Seite bleiben zu können. Aber letztendlich hatte er sich doch anders
entschieden und freute sich jetzt richtig darauf, in ein paar Wochen in seinem
coolen metallic-blauen Buick Skylark, den ihm sein Vater zum Schulabschluss
geschenkt hatte, an die Westküste zu fahren. Es war das perfekte Gefährt für
einen Roadtrip. Er würde wie Jack Kerouac in seinem berühmten Roman »Unterwegs«
über die Highways brausen und sich platonisch mit dem Land und dem Himmel
vereinigen - mit Worten, die ihm während der Fahrt in den Kopf kommen würden.
Er würde allen Frauen, die er auf seiner Reise kennenlernen würde, Gedichte
hinterlassen. Er würde der geheimnisvolle Liebhaber sein, den sie nie ganz
besitzen konnten. Aber bis es so weit war, würde er hier in New York einen
letzten perfekten Sommer mit Vanessa verleben, mit seiner ersten großen Liebe.
Dan nahm die
Biografie über Dr. Samuel Johnson von Boswell vom Wagen und kniete sich auf den
schmutzigen Holzboden, um sie ins Regal zu stellen. Während er nach einem
geeigneten Platz suchte, ließ er seine Gedanken schweifen und begann spontan zu
dichten:
heiße hände umklammern das lenkrad
sei meine gangschaltung, mein gaspedal wirble staub auf, entfliehe demfrust
lust. lust. mach, dass sie dauert
Okay, das war
ziemlich schwülstig, aber es entsprach nun mal genau seinen Empfindungen. Im
Geiste stellte er eine Liste von Ideen für klassische Liebesausflüge in New
York zusammen: Sie konnten sich im Central Park auf der Open-Air-Bühne ein
Shakespeare-Stück ansehen, einfach so ohne besonderes Ziel mit der Staten
Island Fähre fahren und auf der Brücke über der 59. Straße den Sonnenaufgang
betrachten wie Woody Allen und Diane Keaton in »Manhattan«. Vielleicht
unternahmen sie eine kleine Spritztour in seinem Skylark zum Jones Beach. Der
salzige Wind würde durch die offenen Fenster wehen und Vanessas Haare
durcheinanderwirbeln... okay, wohl eher nicht, sie hatte ja kaum Haare, aber
vielleicht konnte sie sich einen langen Seidenschal um den Kopf binden. Er sah
alles ganz genau vor sich. Es würde der romantischste Sommer aller Zeiten
werden.
Na ja, mal sehen.
»Entschuldigung...
äh... ich suche nach einer kurzen Zusammenfassung von >Ulysses<«,
unterbrach eine dünne Stimme seine Träumereien.
Eine Zusammenfassung des größten
Meisterwerks von James Joyce? Blasphemie!
Dan starrte den
linkisch aussehenden Typen in Goth- Klamotten, der es gewagt hatte, ihn danach
zu fragen, verächtlich an. Er hielt eine Kindergarten-Lunchbox in den Händen,
und Dan wurde schnell klar, dass er weniger ein Gruftie war als vielmehr ein
hoffnungsloser Fall.
»Wie wär's, wenn
du mal versuchst, das Original zu lesen?«, schlug er ihm
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