Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
Vom Netzwerk:
vielleicht ist sie das heute noch. Viele Weinpressen arbeiten mit Stahlplatten, die die Trauben einfach zerquetschen. Unsere Presse arbeitet mit Luftdruck. Ein großer Ballon aus PVC wird allmählich aufgeblasen, strömt wieder leer, baut wieder Druck auf – die Trauben werden geknetet wie ein Stück lockerer Teig, sanft und ruhig. Wenn man gut arbeitet, bleiben alle Kerne ganz, sodass nicht zu viele grüne Tannine in den Wein gelangen, die den Wein säuerlich machen. Mit den Jahren habe ich das Computerprogramm langsam angepasst, ich weiß immer besser, was ich will. Während des Vorgangs prüfe ich ständig den Saft, der aus der Presse läuft – sobald ich erste Anzeichen von Grün feststelle, halte ich alles an und nehme die Trauben heraus, so wird zwar nicht die maximale Quantität aus den Trauben herausgeholt, doch dafür ist das Ergebnis schön sanft und rund – genau die Sorte Wein, die ich mag.
    Die Pflücker sind wieder zu Hause. Ich habe die grauen Erntekisten in eine Reihe gestellt und säubere sie mit dem Schlauch – ein Regenbogen bildet sich im Nebel der feinen Tröpfchen. Bruno nimmt die Kisten quälend langsam entgegen und stapelt sie mit offensichtlichem Widerwillen auf den Erntewagen. Schon seit die Lese begonnen hat, läuft er mit schweren, unglücklichen Schritten ums Haus, ein mutloser Vogel, der in einer grauen Kruste aus dickflüssigem Teer gefangen ist. Nicht genug, dass ich seine Gefühle nie erwidern werde, jetzt ist auch noch seine Oma gestorben. Die Schwärze verbreitet sich über das ganze Grundstück, bedeckt allmählich den Boden des Weinkellers. Ich versuche, mit ihm zu sprechen, ihn zu unterstützen, habe aber langsam genug davon, die ganze Arbeit alleine zu machen.
    Als ich eines Tages in den Weinkeller komme, steht Bruno oben auf der Presse. Über seinem Kopf, an einem der dicken Balken hat er einen Strick befestigt, das zur Schlinge geknüpfte Ende hält er in der Hand. Gerade legt er sich die Schlinge um den Hals, seine Augen zum Himmel gewandt, ein miserabler Darsteller in einem alten B-Film.
    Die Frage, ob er wirklich springen will, kommt gar nicht erst in mir auf, ich fühle nur, dass ich schrecklich wütend werde. »Verdammt Bruno, benimm dich endlich normal!«, rufe ich. »Komm von der Presse runter! J’en ai marre! Et marre! Et marre! « Eingeschüchtert klettert er nach unten, den Rest der Ernte arbeitet er mit halber Kraft.
    Â»Ich will, dass du gehst«, sage ich im Oktober, »such dir etwas anderes, bitte, ich habe keine Lust mehr.« Hinter seinem Rücken gehe ich zu einem Rechtsanwalt in Béziers, zu einem ungefähr 50 Jahre alten Mann, der mich mit einem anzüglichen Blick und einem ärgerlichen Lachen betrachtet, während ich ihm meine Geschichte erzähle. »Ihr Angestellter ist also schon viele Jahre bei Ihnen beschäftigt«, stellt er schließlich fest, »und es ist keine Rede von einem Schaden oder einer ernsthaften Nachlässigkeit?«
    Ich wiederhole, dass Bruno nur mit halber Kraft arbeitet, dass es ihm nicht gelingt, normal mit mir umzugehen. Der Rechtsanwalt lacht: »Aber eine Frau wie Sie, völlig alleine, ich verstehe schon, dass das einen Mann in Verwirrung bringen kann.« Fluchend gehe ich nach draußen. Ich überlege, eine Rechtsanwältin aufzusuchen, aber noch bevor ich einen Termin gemacht habe, kommt Bruno auf mich zu, er ist völlig aus dem Konzept: » Patronne , ich traue es mich beinahe nicht zu sagen, aber … mein Neffe im Cognac hat gefragt, ob ich für ihn arbeiten möchte.«
    Ich fühle, wie sich Schleusen in mir öffnen, durch die das Glück und frische Luft strömen – fehlt nur das Jubilieren der Heerscharen. Nur mit großer Mühe gelingt es mir, das breite Lachen zu unterdrücken, das meine Mundwinkel nach oben ziehen will. »Ich verstehe«, sage ich traurig, »das ist die Gegend, wo du schon immer wohnen wolltest. Diese Chance solltest du dir nicht entgehen lassen.«
    Wir spielen zwei Rollen in demselben Stück: der geschätzte Angestellte und die patronne , die es schrecklich schade findet, dass er weggeht. Es ist das letzte Mal, dass wir gemeinsam Wein herstellen.
    Ich stehe auf einer hohen Leiter und schaue zu, wie der Schalenhut langsam nach unten sinkt. Ich bin noch immer auf der Suche nach Methoden, um den Wein weiter zu verbessern. Roy, der Amerikaner,

Weitere Kostenlose Bücher