Traeume ernten
Viertelstunde später erwache, als ich endlich mein Auto gegenüber der Hausnummer abstelle, die er angegeben hatte. Ich steige aus, schaue mich suchend um, sehe dann in der Ferne einen Mann in Jeans und schwarzer Dreivierteljacke auf mich zukommen. Er lacht mich an â ich erkenne sein Gesicht wieder und erinnere mich noch an viel mehr Dinge, die ich eigentlich nicht wissen kann. Automatisch habe ich den gleichen Gedanken wie damals, vor 20 Jahren.
Wie konnte ich nur so blind sein, denke ich, er ist es.
»Das war ziemlich lustig«, sagt Marijn auf dem Rückweg im Auto. »Wie aufgeregt ihr beide wart und versucht habt, lustig zu sein. Ich hab dich noch nie so gesehen, voll pubertär.«
Ich weià jetzt, dass er Olivier heiÃt, zögernd schreiben wir uns ab und zu, wir siezen uns noch immer. »Je suis très heureux dâavoir de vos nouvelles« , simst er mir von einem Kongress in New York. Ich stehe zu dem Zeitpunkt für einen Flug nach Chicago an und grinse, als ich seine Mitteilung lese. Der junge Mann, der neben mir steht, lacht: »Gute Neuigkeiten, stimmtâs?«
Was kommt, war absehbar: Wir wollen uns wiedersehen. Feige wie ich bin, schlage ich ihm einen Besuch auf dem Weingut vor â ganz unverbindlich und ohne jedes Risiko. Aber statt ihm den Weinkeller zu zeigen, sitzen wir jetzt schon seit zwei Stunden auf den beiden Sofas im Wohnzimmer. Ich sehe wieder diese sanfte Glut in seinen Augen, es ist unglaublich, wie gut sich alles anfühlt bei diesem Mann. »Darf ich dich kurz in den Arm nehmen«, fragt er, als er aufsteht.
Während er sich wieder setzt, sagt er verwirrt: »Ich lebe nicht alleine«, und mit fester Stimme fügt er hinzu: »aber ich könnte mir vorstellen, das sich das bald ändert.«
Zwei Tage später ist Olivier zurück. Wir gehen in ein Restaurant in der Nähe, schlafen miteinander â jetzt wissen wir es genau. Tomber amoureuse, falling in love â warum haben wir im Niederländischen keine ähnlich bewegenden Worte für dieses schwindelerregende Gefühl? Wir »sind« einfach nur verliebt. Ich weià jetzt mehr über seine Beziehung, weiÃ, dass er gerade einen Kaufvertrag für ein Haus unterschrieben hat. Er sagt, dass er schon seit Monaten schlecht schläft, weil sein Leben in eine Richtung läuft, die er sich so nicht vorgestellt hat.
Ich fühle mich in eine frühere Zeit zurückversetzt, denke an Pierre und den ewigen Schatten seiner Freundin. Ich will nicht, dass Olivier lügen muss, um mich sehen zu können, will mich nicht an ihn binden, ohne zu wissen, wohin mich das führt. »Ich verstehe, dass du Zeit brauchst«, sage ich also, »wir sollten uns vorläufig nicht mehr sehen.«
»Das wollte ich auch nicht«, sagt er, »gib mir einen Monat.«
Ich gehe mit Simone und Fiene durch einen Gastronomie-GroÃmarkt. Fiene legt einen Käse von einem halben Meter Durchmesser in den Wagen und groÃe Eimer, in denen man normalerweise Wandfarbe kauft, mit griechischen Oliven. In diesem Jahr feiert Mas de Dames sein zehnjähriges Bestehen. Es ist ein Wunder, dass es uns noch gibt â wie viele Menschen haben geglaubt, dass ich es alleine niemals schaffen würde? Wie lange habe ich selber daran gezweifelt?
Mit dem Abstand, den ich inzwischen habe, kommt mir das Leben, das ich noch vor ein paar Jahren geführt habe, beinahe unwirklich vor. War ich tatsächlich diese überarbeitete Frau, die mit einem Baby und zwei kleinen Kindern in einem unbeheizten Ferienhaus gewohnt hat? Die ihre Tage auf einer Landwirtschaftlichen Schule verbrachte und in blinder Panik vor einer Entstielungsmaschine stand, die nicht funktionierte?
Es scheint, als sei mit der Zeit alles einfacher geworden, als seien die groÃen Zweifel weggefegt worden. Was zählt, ist das Hier und Jetzt, sind das Weingut und die Mädchen, dieser Augenblick, in dem ich lebe.
Ein sehr guter Anlass für ein Fest.
»Wir sind dann mit dem ganzen Personal aus unserem Weinhandel auf einer Reise im Languedoc«, sagt Xavier van Okhuysen. 24 Leute. Ich lade sie alle ein.
»Ah, dann sind Mike und ich mit einer Gruppe Zwischenhändler in der Gegend«, sagt Roy, der Amerikaner. Zwei Anrufe genügen, und das kleine Fest ist hinfällig, wir feiern ein groÃes.
Jean-François und seine Frau Géraldine organisieren, dass wir uns alle Tische und Stühle aus dem Rathaus in ihrem
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