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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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vorstellen: Es muss schön sein, dort zu sitzen und über das Land zu schauen.
    Begeistert führt uns unser Gastgeber durch die durstigen Weinberge, deren Untergrund ausschließlich aus losen Felsstücken zu bestehen scheint, sodass jeder Schritt wohlüberlegt sein will, ganz so, als würde man ein Flussbett mit vielen glatten Steinen überqueren. Während ich mich mühsam vorwärtsarbeite, wird mir klar, dass ich auf jeden Fall einen Weinberg besitzen möchte, in dem man sich normal bewegen kann.
    Schwankend kommen wir am Auto an. Der Besitzer des Weinguts fährt voraus, als wir uns zu dem grauen, langgestreckten Dorf am Fuß des Berges aufmachen. Das Roussillon ist noch immer eine der ärmsten Regionen Frankreichs und auch eine der am wenigsten französischen. Während auf der Westseite der Pyrenäen die Basken ihre Zugehörigkeit zu Frankreich infrage stellen, sind es hier im Osten die Katalanen. Wir haben inzwischen – ungeachtet der vielen Haarnadelkurven und einladenden Abgründe – mehrere Autos überholt, deren gesamte Heckscheibe mit großen, gelb-rot gestreiften Flaggen Kataloniens bedeckt ist. In einem gut gemeinten Versuch der Integration hat unser Gastgeber ebendiesen Farben auch in seinem Auto einen Platz eingeräumt, allerdings verkehrssicher auf der Hutablage. Wir fahren am Café an der Hauptstraße vorbei, in dem drei dunkelhäutige Männer unter einer ausgeblichenen Flagge, die am Sonnenschirm über ihren Köpfen befestigt ist, düster über einer Flasche Pastis brüten – ihr entschlossener Groll macht sie einander zu Verbündeten.
    Als wir im Weinkeller unseres Gastgebers stehen, schaue ich zur Hauptstraße hinüber. Eine Gruppe Kinder kommt vorbei, ein blasser Junge fällt mir auf, er hat eine kleine katalanische Flagge an seinem Rucksack befestigt. Ich kann mir unsere blonden Mädchen kaum zwischen diesen Kindern vorstellen.
    Eine Freundin unseres Gastgebers, eine ziemlich hysterische, zu dünne Blondine, ist Immobilienmaklerin. Marlène ist nicht auf Weingüter spezialisiert, aber angesichts des französischen Systems, das keinem Makler Exklusivität garantiert, gibt es doch einiges, was sie uns zeigen kann. »Schwierig, schwierig« sei das, was wir da suchen: ein freistehendes Haus inmitten dazugehöriger Weinberge. Praktisch das gesamte Roussillon komme nicht infrage, aber auch im Languedoc seien die meisten Weingüter einfache Häuser mitten im Dorf, unten der Weinkeller und einige Zimmer auf der ersten Etage, während die Weinberge in der weiteren Umgebung verstreut liegen.
    Abgesehen von den praktischen Vorbehalten ist das nicht das, wovon man als Ausländer träumt, wenn man an ein Weingut denkt. Das andere Extrem sind riesige Weingüter, schlossähnliche Gebäude, die von dutzenden, manchmal hunderten Hektar umgeben sind.
    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Reblaus Phylloxera in Frankreich ausgebreitet, ein aggressiver Schädling, der das Wurzelsystem der Weinstöcke schädigt, sodass die Pflanze innerhalb eines Erntejahres abstirbt. Es gibt immer noch kein Mittel gegen die Laus, weshalb auch heute noch jedes Weingut in Frankreich verpflichtet ist, seinen Wein auf resistente amerikanische Unterlagsreben zu pfropfen. Die Epidemie breitete sich von Nordfrankreich aus und wanderte dann langsam Richtung Süden. Während die Weingüter im Burgund und um die Stadt Bordeaux herum bereits vernichtet waren, konnte das Languedoc noch eine Zeit lang produzieren. So wurden einfache Bauern über Nacht reich und ließen sich, oft mit einer guten Portion zu viel an gutem Geschmack, imposante Schlösser im Stil der Neugotik und der Neorenaissance errichten. Noch immer findet man überall entlang der Küste diese Bauten, inzwischen sind sie die Zentren großer, industriell geführter Weingüter.
    Wer in kleinerem Maßstab einen qualitativ hochwertigen Wein herstellen möchte, muss auf die ärmeren Böden im Hinterland zurückgreifen, die in den coteaux , den Hügeln, liegen, in denen früher Kleinstbauern ihr Dasein fristeten, und die lebten nun einmal nicht in charmanten Schlösschen.
    Wir verlassen das Roussillon und erreichen Narbonne, wo in bescheidener Nachahmung von Hollywood Buchstaben an einem Berghang stehen: der Name Narbonne und Werbung für das Unternehmen »Carrefour de l’Europe«. Im Altertum,

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