Traeume ernten
Weinkeller stellen wir auch dem Besitzer diese Fragen. »Tja, wir wollten hier hinziehen«, sagt er, »aber irgendwie ist nie was draus geworden.«
»Und die Vorbesitzer?«
»Die haben auch nie hier gewohnt.« Wir laufen noch ein wenig mit Thierry durch die Weingärten mit den soliden verzinkten Pfählen und dem wenig inspirierenden, sandigen Untergrund â dann verabschieden wir uns.
Mittags, nachdem Laartje getrunken und geschlafen hat und wieder zufrieden im Tragesack döst, schlägt Aad vor, noch einmal kurz an den Weingärten entlangzufahren, die wir an diesem Morgen besichtigt haben. Auf einem Hügel, der noch ein Stück näher an der Küste liegt, fällt uns ein weiteres Weingut auf. »Vielleicht sollten wir uns kurz mit den Leuten dort unterhalten«, sagt Aad, während er den Leihwagen bereits dorthin lenkt. Am Ende einer ZufahrtsstraÃe steht ein imposantes Gebäude mit Art-déco-Ornamenten und einer weiÃen Stuckfassade, auf die hohe Palmen lange, geometrische Schatten werfen. Als wir das Auto abstellen, eilt ein kleiner, schon etwas älterer Mann auf uns zu. Wir erzählen ihm, dass wir am Weingut seines Nachbarn interessiert seien. Daraufhin lädt er uns sofort ein hereinzukommen. Wir werden in einen Raum mit hohen Fenstern und einer groÃen Terrasse geführt, von der aus man über das sumpfige Gelände blickt und in der Ferne das Glitzern des Meeres erkennt. Aus einer dunklen Ecke nähert sich eine alte, vom Untertanengeist gebeugte Frau. Sie fragt uns, ob wir etwas trinken möchten, und verlässt dann geräuschlos das Zimmer, um wenig später mit Gläsern und einer Flasche des hauseigenen WeiÃweines zurückzukehren.
»Es muss schön sein, im Sommer auf dieser wunderbaren Terrasse zu sitzen«, eröffnet Aad höflich das Gespräch. »DrauÃen sitzen?«, antwortet der Mann erstaunt. »Wozu?«
Mein Blick fällt auf ein altes Foto an der Wand, auf dem Menschen bei der Weinlese zu sehen sind. Eine Gruppe Pflücker, unter der Last der Trauben gebeugt. Sie tragen groÃe Strohhüte mit engmaschigen Netzen daran, die sie unter dem Kinn zusammengebunden haben, sodass ihre Köpfe aussehen wie groÃe Ballons. Der Mann folgt meinem Blick. »Ah oui« , sagt er, »les vendanges dâantan. Les mousquites.« Ich blicke ihn an, verstehe nicht. »Als ich jung war, wurde hier noch nicht gegen die Mücken gespritzt«, erzählt er, ȟberall gab es Malaria, ein Neffe meines Vaters ist daran gestorben.«
Allmählich setzt sich das Puzzle zusammen: Das Gebiet, in dem wir uns befinden, wo wir eventuell sogar ein Haus kaufen wollen, wurde früher pays de fièvre , Fieberland, genannt. Ein feuchtes, sumpfiges Gebiet, auf dem höchstens ein paar arme Landarbeiter lebten. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts lag die Lebenserwartung bei kaum 20 Jahren, während sie im übrigen Frankreich beinahe doppelt so hoch war. Erst in den Fünfzigerjahren wurde allmählich damit begonnen, die Mücken zu bekämpfen. 1960 fiel der Blick der Regierung auf die rund 200 Kilometer Sandstrand des Languedoc. In einer groÃangelegten Aktion wurden sieben Badeorte aus dem Boden gestampft, darunter Cap dâAgde und La Grande Motte, wo 18 Prozent der Unterkünfte für französische Arbeiter bereitstanden. Nun musste man das Problem mit den Mücken endlich in den Griff bekommen.
Ganz gelöst ist es immer noch nicht. Unser Gastgeber erzählt uns vom West-Nil-Virus, das zurzeit umgehe und dem bereits mehrere Pferde in der Camargue zum Opfer gefallen seien. »Man weià nie, ob so was auch auf den Menschen übertragen werden kann«, meint er. Dann jammert er über die Umweltpolitiker, die Pestizide verboten hätten, und über die Resistenz bestimmter Mückenarten. »Aber gut, warum muss man auch unbedingt drauÃen sitzen«, sagt er schlieÃlich.
Wir schauen uns an, denken an die Fliegengitter auf Rivière le Bas und haben uns bereits entschieden.
Thierry hat es eilig: Ein Weingut können wir uns noch anschauen, da er rechtzeitig zum Abendessen zurück sein will. Nach dem Besuch eines traurigen landwirtschaftlichen Ensembles bei Nîmes machen wir uns noch einmal auf den Weg und nehmen die Abfahrt ins Zentrum der Stadt Béziers. Ein Zentrum können wir allerdings nicht entdecken, lediglich ein Casino und mehrere Supermärkte. Tous les
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