Traeume ernten
als Narbonne ein Knotenpunkt an der RömerstraÃe Via Domitia war, mochte GröÃenwahn dem Ort vielleicht angemessen gewesen sein. Inzwischen bewegt man sich über eine lange HauptverkehrsstraÃe, die auf beiden Seiten von deprimierenden Metallschuppen gesäumt wird, in denen sich die Niederlassungen derselben Baumärkte, Sportartikelhersteller und Einkaufsketten befinden, die es überall in Frankreich gibt. Auf einem brachliegenden Gelände wurden aus alten Paletten Tische gezimmert. Darauf ist eine unglaubliche Menge spanischer Töpferarbeiten drapiert â die monotone Zurschaustellung der hohen, kegelförmig zulaufenden Vasen weckt eine unerwartete Erinnerung an Amphoren aus dem Altertum.
Unsere Maklerin, Marlène, kommt jetzt richtig in Fahrt. Links und rechts überholt sie Autos, und jedes dieser Manöver wird vom begeisterten Geklingel und Gefunkel ihrer vielen goldenen Armbänder begleitet.
»Narbonne, câest une jolie ville, quoi?« , bemerkt sie. Das »Quoi« ist von ihrem starken Dialekt geprägt, wodurch es zu einer Art »Queng« wird â ich muss an eine Ente denken. Verwundert beobachten wir die Aneinanderreihung von Metallschuppen am StraÃenrand. »Es gibt bestimmt ein schönes historisches Zentrum!«, beruhigen wir uns. »Câest pratique, quoi â tous les commerces sur place!« , hören wir sie sagen, wobei sie allen Ernstes auf die Schuppen deutet. Noch ein paar dieser Geschäfte ziehen an uns vorbei, dann biegt Marlène an der ersten Ampel ab. Ein langer gerader Weg führt schnurstracks ins Hinterland, und nach wenigen Metern folgt auf das Einkaufsparadies ein Nichts, eine Reihe dürrer Hügel, auf denen wenige niedrige dunkelgrüne Sträucher wachsen. Würden jetzt ein paar Tumbleweeds ins Bild rollen oder ein einsamer Cowboy am Horizont erscheinen, wäre der Vergleich mit einem Western perfekt â hier endet die Welt.
Völlig unerwartet tauchen auf einmal wieder Weinberge auf. Marlène biegt ab und wählt einen schmalen Weg, der in den schummrigen Pinienwald führt. Gerade als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, verlassen wir den Wald wieder. Vor uns liegt ein abgeschlossenes Tal, das vollständig mit Wein bepflanzt ist, und darin steht ein groÃes weiÃes Haus. Marlène bringt ihren Citroën zum Stehen, wobei sie über den Kies schlittert, während ein älterer Mann im blütenweiÃen Poloshirt auf uns zukommt, bei dem es sich eindeutig nicht um einen Winzer handelt. Es ist ein Herr auf seinem Anwesen in der Nähe der Stadt, ein Anwesen mit einer Erwerbsquelle â und mit viel Personal. Und seine Frau hat auch ein Hobby: Hinter dem Haus sind groÃzügige, gut gepflegte AuÃenboxen zu sehen, drei frisch gestriegelte rostbraune Pferde nähern sich neugierig dem Zaun. Und da ist sie auch schon, die Hausherrin, genau wie ich es erwartet hatte: etwas jünger als er, streng aufgestecktes Haar, sehr elegant in ihrem enganliegenden Blazer. »Vraiment très agréable, cet endroit« , bemerkt sie, während sie uns zu den Weinbergen geleitet. Wir laufen ein Stück durch die Reihen, die am Pinienwald enden, gehen dann hinunter in den Weinkeller, der genauso makellos daherkommt wie seine Besitzer. Und dann das Haus: groÃe Terrassen aus glänzendem Stein, ein imposantes Treppenhaus im runden Turm. Ich vermute, dass die Villa in den Sechzigerjahren gebaut wurde, die groÃen Zimmer sind perfekt gepflegt, man könnte sofort seine eigenen Möbel hineinstellen. Aad und ich schauen uns an: Unsere Möbel, hier ? Das ist eindeutig das Leben eines anderen Paars. Als wir nach drauÃen gehen, fallen uns zwei groÃe Wassertanks auf einem Anhänger auf. »Wozu werden die gebraucht?«, fragt Aad wie nebenbei. »Ãhm, hier gibt es kein Wasser. Es wird wöchentlich gebracht.«
Erleichtert verlassen wir das Grundstück â es ist erfreulich, wenn einen keine Zweifel plagen.
4
Laartje wird geboren â mit ihrer hellbraunen Haut und den wilden dunklen Haaren sieht sie aus wie eine kleine Peruanerin. Sie ist jetzt fünf Wochen alt und liegt im Flugzeug wie eine dicke zufriedene Katze auf meinem SchoÃ. Nach unserer Ankunft in Frankreich mieten wir ein apfelgrünes Auto mit Kindersitz. Wir fahren Richtung Narbonne und biegen zu einem kleinen Badeort ab, der sich langsam von der Touristensaison erholt.
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