Traeume Suess, Mein Maedchen
die Geduld, Gracie.«
»Meine Handtasche ist im Kleiderschrank. Wenn du mich aufstehen lässt, hole ich sie für dich.«
»Was hältst du davon, wenn wir sie zusammen holen?« Er stieß sich von ihr ab, zog seinen Reißverschluss hoch und zerrte sie vom Bett Richtung Kleiderschrank. Sie versuchte, ihre Schlafanzughose festzuhalten, während er die Kleiderschranktür aufriss und den Inhalt überflog. Eine Reihe
Blusen mit buntem Muster, ein halbes Dutzend Hosen, ein paar teuer aussehende Jacken, mindestens zehn Paar Schuhe und mehrere Lederhandtaschen. »Welche?« Er griff schon ins oberste Regal.
»Die orangefarbene.«
Mit einer Handbewegung schleuderte er die orangefarbene Tasche auf den Boden. »Mach sie auf.« Er stieß sie auf die Knie. Blut tropfte von ihrer Wange auf das helle Leder, als sie an dem Verschluss der Tasche herumfummelte. Ein weiterer Tropfen fiel auf den weichen weißen Florteppich. »Und jetzt gib mir das verdammte Adressbuch.«
Wimmernd befolgte sie seine Anweisung.
Er schlug das Buch auf und blätterte die Seiten durch, bis er den gesuchten Namen gefunden hatte. »Sie ist also doch nicht nach Kalifornien gezogen«, stellte er lächelnd fest.
»Bitte«, schluchzte sie leise. »Jetzt hast du doch, was du wolltest.«
»Was für ein Straßenname ist denn das? Mad River Road«, las er mit übertriebener Betonung vor.
»Bitte«, sagte sie noch einmal. »Geh einfach.«
»Du willst, dass ich gehe? Hast du das gesagt?«
Sie nickte.
»Du willst, dass ich gehe, damit du deine Freundin anrufen und warnen kannst, sobald ich weg bin?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das würde ich nicht machen.«
»Natürlich nicht. Genauso wenig, wie du die Polizei alarmieren würdest, was?«
»Ich rufe niemanden an, ich schwöre es.«
»Wirklich nicht? Wieso kann ich das nur nicht recht glauben?«
»Bitte …«
»Ich denke, ich habe keine andere Wahl, Gracie. Ich meine, einmal abgesehen von der Tatsache, dass ich mich fast genauso darauf freue, dich umzubringen, wie ich mich schon darauf freue, sie zu töten, sehe ich wirklich nicht, was mir
anderes übrig bleibt. Oder was meinst du?« Er zog sie grob auf die Füße und setzte ihr das Messer an den Hals. »Wohlan, gute Nacht, Gracie.«
»Nein!«, kreischte sie, schlug mit aller Kraft aus und rammte ihren Ellenbogen gegen seine Brust, sodass ihm die Luft wegblieb und sie sich seinem Griff entwinden konnte. Sie rannte in den Flur und hatte die Haustür beinahe erreicht, als sich die Zehen ihres rechten Fußes in dem Pyjamaunterteil verfingen, sie ins Stolpern geriet und der Länge nach auf das harte Parkett schlug. Doch sie gab noch nicht auf, sondern krabbelte weiter und schrie aus Leibeskräften, auf dass irgendjemand sie hörte und ihr zur Hilfe kam.
Amüsiert beobachtete er, wie sie nach dem Türknauf tastete, weil er wusste, dass er reichlich Zeit hatte, bevor sie sich endgültig aufgerappelt hatte. Sie war auf jeden Fall hartnäckig, dachte er nicht ohne Bewunderung. Und ziemlich kräftig für ein so dünnes Mädchen. Nicht zu vergessen, eine treue Freundin. Obwohl sie, als es ernst wurde, lieber ihre Freundin verraten hatte, als seine zugegebenermaßen nicht übermäßig romantischen Annäherungsversuche zu ertragen. Also vielleicht doch keine so gute Freundin. Nein, sie hatte ihr Schicksal verdient. Sie hatte es geradezu herausgefordert.
Er würde ihr allerdings nicht die Kehle durchschneiden, entschied er, schob das Messer wieder in die Tasche und packte sie, als ihre Hand gerade den Türknauf gefasst hatte. Nein, das machte viel zu viel Dreck und war überdies unnötig riskant. Alles wäre voller Blut, und jeder würde sofort wissen, dass ein Verbrechen geschehen war. Und dann würde es nicht allzu lange dauern, bevor er als Verdächtiger gesucht wurde, vor allem wenn bekannt wurde, dass er aus dem Gefängnis entlassen worden war, und die Polizei zwei und zwei zusammen zählte.
Sie wehrte sich kratzend und tretend und flehte ihn, als seine Hände sich um ihren Hals schlossen, mit ihren grünen
Augen an, es nicht zu tun. Außerdem kreischte sie wie wild, was er im Eifer des Gefechts jedoch kaum wahrnahm. Er wollte die Sache mit den Händen zu Ende zu bringen. Es war so persönlich, so konkret. Es gab nichts Befriedigenderes, als unmittelbar zu spüren, wie das Leben aus einem anderen Körper wich.
Dass sie ein Sabbatjahr genommen hatte, war ein unerwartetes Glück für ihn. Es konnte Tage oder sogar Wochen dauern, bis irgendjemand sie als
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