Trallafitti: Kriminalroman (German Edition)
es ein Fehler gewesen, so mir nichts,
dir nichts abzutauchen. Ich hätte ein paar Leute informieren sollen, die sich um
gewisse Dinge hätten kümmern können, wie meine Blumen, die in Ermangelung von Licht
und Wasser inzwischen verrottet waren. Damals hielt ich es für eine gute Idee, niemandem
von meinem Plan zu erzählen, weil ich gelernt hatte, wie Bösewichte mit Mitwissern
umzugehen pflegten. Mittlerweile glaubte ich jedoch, dass ich womöglich überreagiert
hatte bei der Vorstellung, die Tulpenpflücker könnten Informationen über meinen
Verbleib aus meinem Bruder oder meinen Eltern herausfoltern. Hielt ich mich für
so wichtig, dass ich dachte, diese Holland-Mafia würde einen solchen Aufwand betreiben,
nur um mich zu finden? Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Ansmann
hatte recht. Meine detektivischen Qualitäten waren fragwürdig. Mein Gedächtnis funktionierte
dafür einwandfrei. Denn mit einem Mal fiel mir wieder ein, warum mir der Name des
Toten so bekannt vorkam.
3.
Etwa eine Stunde später waren alle
Nichtanwohner fort und der Tatort wieder begehbar. Ich warf mir eine Jacke über
und wagte mich die Treppe hinunter bis vor die Haustür. Der Nieselregen tröpfelte
mir ins Gesicht. Etliche Schirme waren unterwegs; auf der Dorstener Straße herrschte
reges Treiben. Autos preschten durch überschwemmte Schlaglöcher und das Wasser ergoss
sich schwallartig auf den Bürgersteig. Ich wich den Schirmen aus und bog einige
100 Meter weiter in die Schachtstraße ein, einer Sackgasse, und suchte sie nach
meinem Wagen ab. Doch ich war unschlüssig, wonach genau ich eigentlich suchen sollte.
In den 90ern war der Twingo mit einem hellblauen Lack vom Band gegangen. Nach einem
Frontalaufprall hatten meine Ersparnisse gerade für eine senfgelbe Stoßstange vom
Schrottplatz gereicht. Und nach weniger als einem Jahr bekam der Wagen buchstäblich
einen neuen Anstrich. Doch das Schwarz, das verdächtig an asphaltgrau erinnerte,
war weder sonnen- noch bürstenresistent und ich fürchtete, dass das feucht triefende
Herbstklima ihm den Rest gegeben haben könnte.
Mit verschränkten
Armen spazierte ich unter der Platanenreihe umher. Die abgeworfenen Kugelfrüchte
der Bäume lagen zerfleddert und nassklebrig auf dem Asphalt verstreut und ich ging
Schlangenlinien, damit die Fussel nicht an meinen Sohlen pappen blieben. Schließlich
fand ich ein Fahrzeug, das meinem Wagen ähnelte. Der Verdacht bestätigte sich, als
ich das Kennzeichen las. Es war definitiv mein Twingo.
Die Konsistenz
der Farbe, die ihn ummantelte, war schwer zu beschreiben. Sie hatte mittlerweile
noch stärker an Tiefe verloren und wirkte im Nieselregen rattengrau. Lediglich die
minigolfballgroßen Nacharbeiten, die die pickeligen Abschürfungen einer Waschanlagenfahrt
vertuschen sollten, funkelten mir nach wie vor nachtschwarz entgegen. Das Faltdach
wirkte marode, die Plastikradkappen wölbten sich nach außen. Erleichtert atmete
ich auf. Mein Twingo war weitestgehend unversehrt geblieben.
Ich zückte
meinen Plip-Schlüssel, zielte auf den Innenspiegel und drückte ab, doch die Zentralverriegelung
funzte nicht. Also führte ich den Schlüssel in das Türschloss ein und öffnete den
Wagen auf traditionelle Weise. Staub flog im Innenraum auf und ich ließ mich gemächlich
auf den Fahrersitz sinken. Mein feuchter Scheitel rieb am Wagenhimmel entlang, eine
Sitzfeder stöhnte auf. Die Windschutzscheibe war ölig vom Straßendreck, der sich
mit dem Regen vermischt hatte. Taubenkot besprenkelte die Scheibe vor dem Beifahrerbereich,
Reste zerpflückter Kugelfrüchte stapelten sich auf dem Scheibenwischer. Mir fiel
ein Zettel ins Auge, der vor dem Tacho lag. Es war ein kariertes Blatt, krakelig
mit Kugelschreiber beschrieben. Ich kannte die Handschrift.
›Hab dein
Zündschloss. Wenn du den Twingo in einem Stück wiederhaben willst, komm in die Voedestraße.
Keine Mätzchen! Und wenn du den ADAC rufst‹
Dann was?
Ich drehte den Zettel um, doch auf der Rückseite stand nichts. Offenbar war der
Schreiberling unterbrochen worden oder ihm war nichts Bedrohliches eingefallen,
was er hätte schreiben können. Vielleicht ging er auch davon aus, dass ich bereits
wusste, was mir oder meinem Auto blühten, würde ich mich seinen Anordnungen widersetzen.
Ich zerknüllte den Zettel, warf ihn auf den Beifahrersitz und wagte einen Blick
hinunter am Lenkrad vorbei. Dort, wo das Zündschloss hätte sein müssen, klaffte
ein tiefes, schwarzes Loch. Ein paar
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