Anruf aus Nizza
Vor dem hohen Spiegel im Schlafzimmer zog er den weinroten Bademantel aus und schlüpfte in einen schwarzen Hausmantel. Die Sonne von Nizza hatte seine straffe gesunde Haut dunkel gebräunt. Er sah aus wie Ende zwanzig, obwohl er dreißig war.
Mit dem Bademantel überm Arm ging er zur Tür des Badezimmers, öffnete sie einen Spalt und hängte den Bademantel an einen Wandhaken.
»Für dich!« rief er. »Ich hole deine Koffer erst später herauf.«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er in sein Wohnzimmer hinüber, öffnete die breiten Glastüren zum Dachgarten und ließ die Abendluft einströmen. Der Tag war drückend heiß gewesen. Danach schaltete er das Radio ein und suchte einen Sender mit Tanzmusik.
Wolfgang Rothe war nicht nur ein bekannter und hochbezahlter Grafiker, sondern auch ein beliebter und gesuchter Illustrator von Kinderbüchern. Je länger man ihn kannte, desto weniger wußte man, wer er in Wirklichkeit war: der beinahe lyrisch zarte Zeichner entzückender Kinderszenen oder der hypermoderne Entwerfer faszinierender Werbeplakate.
Seine Wohnung, eine Mansarde von nahezu zweihundert Quadratmetern Fläche, lag über einem Versicherungspalast, so daß das Haus nachts praktisch leer stand. Während der Münchner Faschingszeit waren Rothes Feste bekannt.
Als er Monika aus dem Bad kommen hörte, ging er ihr entgegen.
»Endlich!« rief er. »Frauen im Badezimmer vergessen immer, wie kurz das Leben ist. Ich habe dich eine Ewigkeit nicht gesehen und...« Sein Gesicht verriet plötzliche Enttäuschung.
»Oh — nichts gegen dein Kostüm, Liebling. Es steht dir sogar großartig, und ich habe dir das auch schon in Nizza gesagt. Aber findest du es jetzt nicht ein wenig zu — offiziell?«
Monika Berckheim schloß die Schlafzimmertür hinter sich. Es war etwas unbewußt Endgültiges in dieser Bewegung. Ihr naturblondes Haar schimmerte noch ein wenig feucht vom Duschen.
Zögernd kam sie ein paar Schritte näher.
Er spürte die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war. Diese fast verstörte junge Frau war nicht die gleiche Monika von vorhin, als sie zärtlich und hingebungsvoll in seinen Armen gelegen hatte.
»Komm«, sagte er und faßte sie sanft am Arm. »Komm, setz dich. Ich habe eine Pulle kalt gestellt.«
Sie ließ sich von ihm durchs Zimmer führen, aber plötzlich entzog sie ihm ihren Arm.
»Können wir uns nicht draußen hinsetzen? Auf dem Dachgarten?«
»Natürlich können wir. Erlaubst du...« Er trat vor ihr hinaus und schob die buntgestreifte Hollywoodschaukel zurecht. Das ringsumlaufende Geländer wurde von kleinen Zierbäumen und riesenhaften Blumensträuchern völlig verdeckt. Überall standen modische Stühle und kleine runde Tische aus weißem, verschnörkeltem Eisen.
Wolfgang zündete schweigend die Kerzen in den Windlichtern an. Man mußte mit Frauen in solchen Augenblicken Geduld haben, durfte nicht drängen. Der milde Schein des flackernden Lichts fiel auf Monikas blasses, schmales Gesicht, in dem die rehbraunen Augen jetzt groß und schwarz wirkten.
Wolfgang legte seinen Arm um ihre Schultern. »Ich weiß immer noch nicht, was du trinken möchtest.«
Sie vermied seinen fragenden Blick. Ihre schmale Hand mit dem Trauring als einzigem Schmuck fuhr über das Revers seines Hausmantels.
»Du hast da drin in deinem Zimmer eine so wundervolle, moderne Kaffeemaschine, Wolf.«
»Kaffee? Jetzt?«
»Ja, bitte. Ich möchte einen klaren Kopf bekommen.«
Wolfgang Rothe lächelte. Seine Zähne waren groß und kräftig wie die eines Jungen.
»Hast du einen Moralischen, Moni?«
»Ja, vielleicht... Verzeih, Wolf. Ich muß weg. Sofort weg.«
Sein männlich hübsches Gesicht drückte Unglauben, zugleich auch Betroffenheit aus.
»Aber Moni, ich versteh’ dich nicht. Vor kaum einer Stunde hast du...«
»Nicht!« unterbrach sie ihn. »Bitte sprich nicht davon. Nie mehr.«
»Ja, aber...«
»Bitte, Wolf, laß mich jetzt gehen. Vielleicht kann ich dir später einmal...«
Jetzt war er es, der sie unterbrach. Mit einer heftigen Bewegung stand er auf.
»Wirklich, du brauchst dringend einen anständigen Kaffee. Warte einen Augenblick, er ist gleich fertig.«
Ich hätte es nicht tun dürfen, dachte sie. Ich wollte es auch noch nicht, als ich heute nicht schon außerhalb der Stadt nach Ried abbog. Ich wollte Wolfgang nur noch einmal ganz kurz sehen, ihm Danke sagen für die schönen Tage in Nizza.
Er kam heraus und stellte das Tablett mit den kleinen, blaugoldenen Tassen auf den Tisch.
»Mokka.
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