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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wiedergeben. Ich weiß nicht mehr, wie ich in mein Zimmer kam, wie ich mich umzog - plötzlich hatte ich Lust auf eine Zigarette und merkte, daß ich sie seit langem schon rauchte, auf meinem Bett zusammengekauert, als wartete ich auf etwas. Ach, ja: das Mittagessen. Das gemeinsame Mittagessen. Es war so: Ich hatte ein bißchen Angst vor den Menschen. Ich gab es nicht einmal vor mir selbst zu. Darum hatte ich so schnell zugestimmt, die Villa mit Fremden zu teilen. Vielleicht hatte die Tatsache, daß ich diese Fremden erwartete, meine unheimliche Eile hervorgerufen, als ob ich mit allem fertig werden, mich auf ihre Anwesenheit vorbereiten müßte, durch Bücher in die Geheimnisse des neuen Lebens eingeführt.
    Am Morgen dieses Tages hätte ich mir das vielleicht nicht so deutlich gesagt. Nach dem Buch von Starck verließ mich aber plötzlich das Lampenfieber vor der Begegnung. Ich nahm aus dem Leseapparat das bläuliche, kornartige Kristall und legte es, voller Furcht und Staunen, auf den Tisch. Dieses kleine Ding hatte mich k. o. geschlagen. Zum ersten Mal seit meiner Rückkehr dachte ich an Thurber und an Gimma: ich muß sie wiedersehen. Vielleicht hat dieses Buch auch recht, aber irgendein anderes Recht steht hinter uns. Niemand kann völlig recht haben. Das kann nicht sein.
    Ein singendes Signal riß mich aus meiner Betäubung. Ich zog
    meine Jacke gerade und ging hinunter, in mich selbst hineinhorchend, schon ruhiger. Die Sonne schien durch die Weinranken der Veranda, die Halle war, wie immer am Nachmittag, von einem verstreuten grünlichen Licht erfüllt. Im Speiseraum gab es auf dem Tisch drei Gedecke.
    Als ich hereinkam, ging die gegenüberliegende Tür auf, und die anderen erschienen. Sie waren für diese Zeiten ziemlich groß.
    Wir trafen uns auf halbem Wege wie Diplomaten. Ich nannte meinen Namen, wir reichten uns die Hand und nahmen Platz am Tisch.
    Ich spürte eine Art betäubender Ruhe, wie ein Boxer, der sich nach einer technisch fehlerfreien Niederla ge soeben von den Brettern erhoben hat. Aus dieser Zerschlagenheit heraus betrachtete ich das junge Paar wie aus einer Loge.
    Das Mädchen war wohl kaum zwanzig Jahre alt. Erst viel später kam ich dahinter, daß sie sich nicht beschreiben ließ und sicher ihrem eigenen Foto nicht ähnlich gewesen waere: sogar am nächsten Tag hatte ich keine Ahnung, was für eine Nase - eine gerade oder etwas stupsartige - sie hatte. Die Art, wie sie die Hand nach einem Teller ausstreckte, erfreute mich, wie etwas Wertvolles, wie eine Überraschung, die es nicht alle Tage gibt; sie lächelte selten und ruhig, wie mit etwas Mißtrauen gegen sich selbst. Als hielte sie sich für zu wenig beherrscht, zu fröhlich - von Natur aus -oder auch für trotzig, und versuchte vernünftigerweise, dem abzuhelfen. Immer wieder entschlüpfte sie dabei der eigenen Strenge, wußte es und amüsierte sich darüber.
    Selbstverständlich zog sie meine Blicke auf sich, und ich mußte dagegen ankämpfen. Trotzdem starrte ich sie immerfort an: ihre Haare, die den Wind herbeizurufen schienen, ich senkte den Kopf über meinen Teller, griff mit kurzen Blicken nach den Schüsseln, wobei ich zweimal fast die Blumenvase umgeworfen hätte- kurz, ich benahm mich unmöglich. Doch die beiden schienen mich kaum zu sehen. Sie hatten ihre eigenen, ineinandergreifenden Blicke, unsichtbare. Fädchen einer Verständigung, die sie verband. Ich weiß kaum, ob wir während der ganzen Zeit auch nur zwanzig Worte darüber gewechselt haben, daß das Wetter schön ist und daß man sich hier gut erholen kann.
    Dieser Marger war kaum einen Kopf kleiner als ich, aber schlank wie ein Jüngling, wenn auch schon über dreißig. Er war eher dunkel gekleidet, ein Blonder mit langem Schädel und einer
    hohen Stirn. Am Anfang schien er mir ausnehmend hübsch, aber nur, wenn sein Gesicht unbeweglich blieb. Sobald er sprach -meistens mit einem Lächeln für seine Frau, wobei dieses Gespräch aus Andeutungen bestand, die für einen Fremden völlig unverständlich waren -, wurde er fast häßlich. Eigentlich auch das nicht, nur schienen sich dann seine Proportionen etwas zu verschieben, der Mund zog sich nach links und verlor an Ausdruck, sogar sein Lachen war ausdruckslos, obwohl er schöne weiße Zähne hatte. Und wenn er auflebte, wurden seine Augen zu blau und sein Kiefer erschien zu stark modelliert, und im ganzen schien er dann wie ein unpersönliches Modell männlicher Schönheit, wie aus einem Modejournal.
    Kurz - von Anfang

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