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Transfer

Transfer

Titel: Transfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ändern. Und diese meine Ratlosigkeit war wie ein unausgesprochenes Schweigen des Triumphes.
    Am Morgen aber fing alles wieder von vorne an. In den ersten Stunden schämte sie sich noch, oder war es vielleicht Verachtung, mir gegenüber? Ich weiß nicht; vielleicht verachtete sie sich selbst wegen der Dinge, die da geschehen waren. Gegen Mittag gelang es mir, sie zu einer kleinen Fahrt zu überreden. Wir fuhren die Straße hinunter an den Riesenstränden entlang. Der Stille Ozean lag in der Sonne, ein rauschender Riese, von weißen und goldenen Schaumsicheln zerfurcht und bis zum Horizont mit bunten Segelläppchen besät. Ich hielt den Wagen dort an, wo die Strände ein Ende nahmen und plötzlich ein kleiner Felsvorsprung zum Vorschein kam. Die Straße wendete dort scharf: einen Meter hinter ihr konnte man direkt in die heftig steigenden Wellen schauen. Dann fuhren wir zum Mittagessen zurück.
    Es war wieder wie gestern, in mir aber erstarb alles, als ich an die Nacht dachte. Weil ich das nicht wollte. So wollte ich es nicht. Als ich sie nicht ansah, spürte ich ihre Blicke. Ich versuchte zu erraten, was die auf ihrer Stirn wiederkehrenden Runzeln und ihre plötzlich verlorenen Blicke zu bedeuten hatten - und urplötzlich - ich weiß nicht wieso und warum, als ob mir jemand den Schädel mit einem Hieb geöffnet hätte - verstand ich alles.
    Ich hatte Lust, mich mit den eigenen Fäusten an den Kopf zu schlagen. Was für ein egoistischer Dummkopf war ich doch wieder, was für ein sich selbst betrügender Schweinehund! Ich saß, reglos, verstört, nur dieser Sturm wütete in mir, Schweiß trat mir auf die Stirn, ich fühlte mich plötzlich ganz schwach.
    »Was hast du?« fragte sie.
    »Eri«, sagte ich heiser, »ich… erst jetzt. Ich schwör es dir! Erst jetzt begreif ich, erst jetzt, daß du mit mir gegangen bist, weil du Angst hattest, daß ich.., ja?«
    Ihre Augen weiteten sich vor Staunen, sie sah mich aufmerksam an, witterte wohl einen Betrug, eine Komödie. Sie nickte.
    Ich sprang auf. »Wir fahren.«
    »Wohin?«
    »Nach Klavestra. Pack deine Sachen. Wir werden - ich sah auf meine Uhr - in drei Stunden dort sein.«
    Unbeweglich stand sie da. »Wirklich?« fragte sie.
    »Wirklich, Eri! Ich hab’s nicht verstanden. Ja, ich weiß. Es klingt unwahrscheinlich. Es gibt aber Grenzen. Ja, Grenzen. Eri, ich begreife es noch nicht ganz - wie ich das eigentlich konnte - habe mich wohl selbst belogen. Na, ich weiß nicht, egal auch, jetzt
    spielt es keine Rolle mehr.«
    Sie packte - so schnell… Alles in mir war zerschlagen und zerrüttet. Aeußerlich jedoch war ich ganz - ja, fast ganz ruhig. Als sie neben mir im Auto saß, sagte sie: »Hai- ich bitte dich um Entschuldigung.«
    »Weshalb? - Ah!« verstand ich. »Du dachtest, ich hätte es gewußt?« »Ja.«
    »Schön. Reden wir nicht mehr darüber.«
    Und wieder fuhr ich los; vorbei flogen lila, weiße, blaue Häuschen, die Straße wand sich, ich erhöhte die Geschwindigkeit noch, der Verkehr war recht stark, hörte dann auf, die Häuschen verloren ihre Farben, der Himmel wurde dunkelblau, die Sterne kamen auf, und wir flogen im langgczogenen Pfeifen des Windes.
    Die ganze Gegend wurde grau, die Höhen schienen nicht mehr bauchig, wurden zu Konturen, zu einer Reihe grauer Höcker, die Straße schien im Halbdunkel wie ein breiter, phosphoreszierender Gurt. Ich erkannte die ersten Häuser von Klavestra, die typische Straßenwendung, die Hecken. Dicht am Eingang hielt ich den Wagen an, brachte ihre Sachen in den Garten, unter die Veranda.
    »Ich möchte nicht ins Haus… verstehst du.«
    »Ja.«
    Ich wollte mich nicht von ihr verabschieden, drehte mich einfach um. Sie berührte meine Hand, ich zuckte zusammen, als ob ich mich verbrannt hätte. »Hal, danke dir…«
    »Sag nichts. Um Gottes willen, sprich bloß nicht.«
    Ich lief weg. Sprang in den Wagen, fuhr los, das Dröhnen des Motors schien mich für eine Weile zu erlösen. Auf zwei Rädern kam ich auf die pfeilgerade Straße. Es war zum Lachen. Natürlich hatte sie Angst, ich würde ihn töten. Sie sah doch, daß ich Olaf zu töten versuchte, der ja völlig unschuldig war, und nur deshalb, weil er mir nicht erlaubte.., ach, überhaupt!… überhaupt nichts mehr. Ich schrie allein im Wagen, konnte mir alles leisten, der Motor verdeckte mein irrsinniges Toben - und wieder weiß ich nicht, in welchem Augenblick ich erkannte, was ich zu tun hatte. Noch einmal - wie vorher - kam die Ruhe. Nicht dieselbe zwar. Denn die

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