Transparenzgesellschaft
umkehrt«. Wer sich dagegen nur durch das Positive zappt, ist ohne Geist. Der Geist ist langsam, weil er beim Negativen verweilt und es für sich bearbeitet. Das Transparenzsystem schafft jede Negativität ab, um sich zu beschleunigen. Das Verweilen am Negativen weicht dem Rasen im Positiven.
Die Positivgesellschaft lässt auch keine Negativgefühle zu. So verlernt man mit Leiden und Schmerz umzugehen, ihm Form zu geben. Für Nietzsche verdankt die menschliche Seele ihre Tiefe, Größe und Stärke gerade dem Verweilen am Negativen. Auch der menschliche Geist ist eine Schmerzgeburt: »Jene Spannung der Seele im Unglück, welche ihr die Stärke anzüchtet [...], ihre Erfindsamkeit und Tapferkeit im Tragen, Ausharren, Ausdeuten, Ausnützen des Unglücks, und was ihr nur je von Tiefe, Geheimnis, Maske, Geist, List, Grösse geschenkt worden ist: - ist es nicht ihr unter Leiden, unter der Zucht des grossen Leidens geschenkt worden?« 11 Die Positivgesellschaft ist dabei, die menschliche Seele ganz neu zu organisieren. Im Zuge ihrer Positivisierung verflacht auch die Liebe zu einem Arrangement angenehmer Gefühle und komplexitäts- und folgenloser Erregungen. So weist Alain Badiou in »Lob der Liebe« auf die Slogans der Singlebörse Meetic hin: »Mann kann verliebt sein, ohne der Liebe zu verfallen (sans tomber amoureux)!« Oder: »Es ist ganz leicht, verliebt zu sein, ohne zu leiden!« 12 Die Liebe wird domestiziert und positivisiert zur Konsum- und Komfortformel. Jede Verletzung soll vermieden werden. Leiden und Leidenschaft sind Figuren der Negativität. Sie weichen auf der einen Seite dem negativitätslosen Genuss. Auf der anderen Seite treten an ihre Stelle die psychischen Störungen wie Erschöpfung, Müdigkeit und Depression, die auf das Übermaß an Positivität zurückzuführen sind.
Auch die Theorie im emphatischen Sinne ist eine Erscheinung der Negativität. Sie ist eine Dezision, die entscheidet, was dazu gehört und was nicht. Als eine hochselektive Narration schlägt sie eine Schneise der Unterscheidung. Aufgrund dieser Negativität ist die Theorie gewaltsam. Sie ist »dazu ausersehen, die Dinge daran zu hindern, sich zu berühren«, und »das, was vermischt worden ist, wieder zu trennen«. 13 Ohne die Negativität der Unterscheidung kommt es unweigerlich zur allgemeinen Wucherung und Promiskuität der Dinge. In dieser Hinsicht ist die Theorie der Zeremonie benachbart, die das Initiierte vom nicht Initiierten trennt. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass die positive Daten- und Informationsmasse, die heute ins Ungeheure wächst, die Theorie überflüssig mache, dass der Abgleich von Daten die Modelle ersetze. Die Theorie als Negativität ist vor positiven Daten und Informationen, auch vor den Modellen angesiedelt. Die datenbasierte Positivwissenschaft ist nicht die Ursache, sondern eher die Folge des bevorstehenden Endes der Theorie im eigentlichen Sinne. Die Theorie lässt sich nicht einfach durch die Positivwissenschaft ersetzen. Dieser fehlt die Negativität der Dezision, die erst entscheidet, was ist oder zu sein hat. Die Theorie als Negativität lässt die Wirklichkeit selbst je und jäh anders, im anderen Licht erscheinen.
Die Politik ist ein strategisches Handeln. Bereits aus diesem Grund eignet ihr eine Geheimsphäre. Eine totale Transparenz lähmt sie. Das »Postulat der Öffentlichkeit« hat, so Carl Schmitt, »seinen spezifischen Gegner in der Vorstellung, dass zu jeder Politik Arcana gehören, politisch-technische Geheimnisse, die in der Tat für den Absolutismus ebenso notwendig sind, wie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse für ein auf Privateigentum und Konkurrenz beruhendes Wirtschaftsleben«. 14 Allein die Politik als Theatrokratie kommt ohne Geheimnisse aus. Hier weicht das politische Handeln bloßer Inszenierung. Das »Parkett von Papagenos«, so Schmitt, bringt das Arcanum zum Verschwinden: »Das 18. Jahrhundert wagte noch so viel Selbstsicherheit und den aristokratischen Begriff des Geheimen. In einer Gesellschaft, die nicht mehr solchen Mut hat, wird es kein ›Arcana‹ mehr geben, keine Hierarchie, keine Geheimdiplomatie und überhaupt keine Politik mehr, denn zu jeder großen Politik gehört das ›Arcanum‹. Alles wird sich vor den Kulissen abspielen (vor einem Parkett von Papagenos).« 15 Das Ende des Geheimnisses wäre demnach das Ende der Politik. So fordert Schmitt von der Politik mehr »Mut zum Geheimnis«. 16
Die Piraten-Partei als Partei der Transparenz
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