Trauerweiden
Heiko eine Eigenschaft auf, die die Arztgattin noch verdächtiger machte. Nach etwa einer Minute kam sie zurück und sagte: »Bitte, gehen Sie jetzt. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen.«
»Denkst du, sie war’s?«, fragte Lisa, als sie nachdenklich im Kaffee Kett in ihrem Latte Macchiato rührte.
Heiko zuckte die Achseln. »Hm. Ist dir aufgefallen, mit welcher Hand sie den Keksteller abgeräumt hat?«
Lisa leckte Milchschaum von ihrem Löffel und vermutete dann: »Mit Links?«.
Heiko bestätigte. »Ganz genau. Und zutrauen würde ich es ihr sowieso.«
»Linkshänder gibt es viele. Und wir haben zwar das Haar, aber leider bringt es uns rein gar nichts.«
»Hat eben nicht funktioniert, die ganze Sache«, stellte Heiko fest. »Pech.«
»Und jetzt?«
Heiko nahm einen Schluck Kaffee. »Bleibt immer noch Katja Blum«, meinte er.
»Ihre Eltern haben das Alibi bestätigt, hat Simon gesagt«, erinnerte Lisa.
»Na ja. Ein Alibi von den Eltern.«
Heiko betrachtete sinnend Lisas schönes Gesicht. Eine Haarsträhne hatte sich aus ihrem Zopf gelöst und schlängelte sich nun wie selbstständig über ihre Wange. Er streckte die Hand aus und berührte die Strähne. Lisa sah so bezaubernd aus. Er lächelte sie an, und sie küssten sich kurz. Sie schmeckte nach Milchschaum.
»Die Nachbarn sagen aber auch, dass das Auto da war. Und der eine hat mit der Katja sogar noch geredet, als sie ins Haus gegangen ist, so gegen zehn.«
»Geredet?«
»Geklatscht.«
»Du meinst gebaatscht«, verbesserte Heiko.
Lisa verdrehte die Augen. »Von mir aus, du mit deinem barbarischen Dialekt.«
Heiko grinste. »Wie geht’s eigentlich deiner Mutter?«
In diesem Augenblick klingelte sein Handy. Fremde Nummer. Irritiert nahm er ab. Es war Mario Schuster und er war nah am Heulen. Er brabbelte unverständliches Zeug und irgendwas von einer schrecklichen SMS. Heikos freie Hand führte eine beschwichtigende Geste aus.
»Jetzt beruhigen Sie sich erst mal«, sagte er und stellte das Handy auf Lautsprecher, damit Lisa auch mithören konnte. »Was genau ist denn passiert?«
»Meine Frau«, stammelte Schuster.
»Was ist mit Ihrer Frau?«
»Die dreht durch. Die hat mir eine SMS geschickt. ›Ich mache jetzt Schluss. Ich nehme die Kinder mit‹.«
»Sie will Sie verlassen?«, vermutete Lisa.
»Nein, die meint was anderes. Die will sich umbringen!«
»Sind Sie da sicher? Es könnte auch heißen, dass … «
»Nein, verdammt!«, schrie Schuster. »Die will sich umbringen und die Kinder mitnehmen! Ich weiß das! Tun Sie was, um Gottes willen, ich bin in Stuttgart auf einem Ärztekongress.«
»Wissen Sie, wo Ihre Frau jetzt ist?«, fragte Lisa.
»Keine Ahnung«, jammerte Schuster. »Tun Sie was, schnell! Bitte!« Für den Bruchteil einer Sekunde zögerten die beiden Kommissare noch, dann spurteten sie los. Im Laufschritt waren sie unterwegs zum Revier.
Heiko rief Simon an. »Simon, kannst du mal das Handy von der Elke Schuster orten? Was? Nein, sofort, jetzt, auf der Stelle, es geht um Leben und Tod.«
Lisa und Heiko rannten jetzt. Die ganze Sache war irgendwie unheimlich. Heikos Gespür sagte ihm, dass der Arzt recht hatte. Elke Schuster machte keine halben Sachen. Sie passierten die Stadtbücherei und kamen gerade beim Revier an, als Heikos Handy erneut klingelte. »Kann des sei, dass die im Woha ischt?«, fragte Simon.
Woha? Das Kaufhaus? Das Woha? Was um alles in der Welt wollte Elke Schuster im Woha? Dann fiel es Heiko wie Schuppen von den Augen. Oh Gott! Das Jagstbrückenhochhaus.
Der Aufzug war auf dem Weg nach oben. Elke Schuster hatte sich und ihre Töchter hübsch hergerichtet. Sie sollten hübsch aussehen, danach.
»Wohin gehen wir, Mama?«, fragte die kleine Annabella.
Elke lächelte ihre Tochter strahlend an. »Es wird dir gefallen«, beruhigte sie. Heidemarie lockerte ihren Griff um die Hand ihrer Mutter, aber Elke packte sie umso fester.
»Du tust mir weh«, beschwerte sich die ältere.
»Entschuldige, Heidemarie. Aber es ist wichtig, dass wir jetzt zusammenhalten.«
Ein Zweifel stahl sich auf das Gesicht ihrer Tochter.
»Was hast du vor, Mama?«
Elke Schuster lächelte Heidemarie strahlend an und sagte dann: »Das Beste für uns alle, meine Liebe. Nur das Beste.«
Die Crailsheimer Kommissare hatten sich in den Streifenwagen gesetzt und waren sofort losgedüst. Heiko schaltete Blaulicht und Sirene ein, und diesmal verspürte er nicht diesen euphorisierenden Kick, den er normalerweise fühlte, wenn er so
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