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Trauerweiden

Trauerweiden

Titel: Trauerweiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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durch Crailsheim fuhr. Er hatte einfach nur Angst, furchtbare Angst, dass die Schuster eine Dummheit machen könnte, eine schreckliche Dummheit, und er wäre auch noch schuld.
    »Wir hätten sie nicht so unter Druck setzen dürfen«, jammerte er, und es klang sehr hilflos.
    Lisa starrte ihn entgeistert an. »So was darfst du nicht sagen. Außerdem: Noch ist nichts passiert.«
    »Scheiße, scheiße«, entfuhr es Heiko, als sich aus der Ludwigsstraße ein lahmer Fiat schob. Er lenkte den Passat in einem riskanten Manöver um die blöde Karre herum. »Dieses verdammte Hochhaus«, murmelte er.
    »Wieso bist du denn so sicher, dass sie dort ist?«
    Heiko befeuchtete sich die trockenen Lippen. »Das ist neben dem Woha. Und es ist das einzige Gebäude in der Crailsheimer Innenstadt, das so hoch ist, dass du sicher sein kannst, dass du unten tot ankommst.«
    Er ignorierte die rote Ampel am Kaufhaus Müller und bog mit quietschenden Reifen in den »Hochwasserdamm« ein. Mit einer scharfen Bremsung brachte er das Auto vor dem Jagstbrückenhochhaus zum Stehen.
     
    »Ist es nicht herrlich hier?«, rief Elke Schuster und breitete lachend die Arme aus. Sie war auf seltsame Art und Weise glücklich. Der Wind zauste ihr Haar und streichelte ihr Gesicht. »Nicht wahr, Mädchen? Hier ist es doch toll.«
    Annabella nickte, während Heidemarie immer noch zweifelnd an ihrer Mutter hoch sah. Elke ging ein paar Schritte weiter, die Mädchen an der Hand, Annemarie rechts, Heidemarie links. »Ich hab Angst, Mama«, sagte Heidemarie nun.
    Elke sah zu ihrer Tochter hinunter. »Das brauchst du nicht. Gleich ist alles gut.«
    Der Wind zerrte an den Zöpfen der Mädchen.
    »Und wisst ihr außerdem, was gut ist, wenn man Angst hat?«, fragte Elke.
    Die Töchter schüttelten die Köpfe.
    »Singen. Wir singen jetzt ein schönes Lied. Ihr kennt doch »Näher, mein Gott, zu Dir«, ja?«
     
    Heiko drückte den Aufzugknopf. »Aufzug kommt«, stand da seit einer gefühlten Ewigkeit. In Wirklichkeit waren es wohl nur ein paar Sekunden. Sekunden, die entscheiden konnten. »Ist die Treppe schneller?«, fragte Lisa. »Nein. 14 Stockwerke, das dauert.« Die Tür ging nun endlich auf und gab den Blick frei auf einen mit Teppich ausgekleideten Aufzug. Lisa und Heiko hechteten hinein und drückten auf den obersten Knopf.
     
    Elke Schuster lächelte beseelt, als sie den Ton angab. Dann begann sie zu singen:
     
    »Näher, mein Gott, zu dir,
    näher zu dir.
    Drückt mich auch Kummer hier,
    drohet man mir,
    soll doch trotz Kreuz und Pein,
    dies meine Losung sein.
    Näher, mein Gott, zu dir,
    näher zu dir!«
     
    Siebter Stock. Achter Stock. Verdammt, warum ging das so langsam? Heiko betete, dass der Aufzug nirgendwo anhalten würde. Neunter. Zehnter Stock. Elfter. Zwölfter, Dreizehnter. Verdammt. Er hielt an. Die Tür ging auf, und eine Oma mit Rollator und keckem Hütchen kam zum Vorschein. »Abwärts?«, fragte sie. Heiko und Lisa drängten sich, Entschuldigungen murmelnd, an ihr vorbei zur Treppe. So schnell wie diesmal waren sie noch nie eine Treppe hinaufgerannt. Heiko stieß die Tür nach draußen auf, die gezogene Waffe im Anschlag. Das unerwartete Licht blendete sie. Trotzdem nahmen sie nach einer Sekunde ein nahezu surrealistisches Bild wahr. Die Mädchen waren in weiße Spitzenkleider gewandet, Elke Schuster selbst trug einen hellen Leinenoverall. Die drei hatten die Kommissare offenbar noch nicht bemerkt, was wohl auch daran lag, dass zumindest Elke und Annabella aus voller Kehle sangen:
     
    »Geht auch die schmale Bahn
    aufwärts gar steil,
    führt sie doch himmelan
    zu unserm Heil.
    Engel, so licht und schön,
    winken aus sel’gen Höhn.
    Näher, mein Gott, zu dir,
    näher zu dir!«
     
    Die Ermittler peilten die Lage. Elke Schuster schien unbewaffnet zu sein, aber es war offensichtlich, was sie vorhatte. Sie würden vielleicht eher Erfolg haben, wenn sie sich aufteilten. Heiko steckte die Waffe ins Halfter und winkte Lisa, sich von der Seite anzuschleichen. Eine etwa ein Meter hohe Erhebung krönte das Dach des Jagstbrückenhochhauses, sie bot ideale Deckung. Lisa machte sich in gebückter Haltung auf den Weg.
    »Frau Schuster?«, rief Heiko.
    Elke Schuster drehte sich um, langsam, ganz langsam. Auf ihrem grell geschminkten Gesicht lag ein irres Grinsen, ein Strahlen, ein diabolisches Leuchten. »Ja?«
    Heiko hob die Hand. »Tun Sie das nicht, Frau Schuster!«
    Die Schuster lachte. »Sie verstehen das nicht«, sagte sie. »Es ist das Beste. Das

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