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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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den Augen weggelassen. Sie sah wie ein gesichtsloses, blindes Symbol aus. »Ihr glaubt, daß die Göttliche Einheit die Menschen beobachtet und über sie urteilt«, sagte Ooota. »Wir meinen, daß die Göttliche Einheit unsere Absichten und Gefühle erspürt - es interessiert sie nicht, was wir tun, sondern warum wir es tun.«
    Dieser Abend war für mich der bedeutendste Abend unserer ganzen Reise. Ich erfuhr, warum ich hier war und was von mir erwartet wurde. Wir feierten eine Zeremonie. Ich beobachtete, wie die Künstler aus weißem Töpferton Farbe herstellten: Es gab zwei Töne von Rotocker und einen zitronengelben. Der Werkzeugmacher stellte aus kurzen, etwa fünfzehn Zentimeter langen Hölzern Pinsel her, indem er sie mit seinen Zähnen ausfranste und zurechtstutzte. Dann bemalten sie sich gegenseitig mit komplizierten Mustern und Tierbildern. Mich kleideten sie in ein Federkostüm, das zum Teil aus dem weichen, vanillefarbenen Gefieder des Emus bestand.
    Sie forderten mich auf, den Kookaburra, den Rieseneisvogel, nachzuahmen. In dem rituellen Schauspiel, das wir aufführen wollten, bestand mein Auftritt darin, diesen Vogel als einen Boten darzustellen, der in die entlegensten Ecken der Erde fliegt. Der Kookaburra ist ein sehr schöner Vogel, aber er gibt ein lautes Krächzen von sich, das oft mit dem Brüllen eines Esels verglichen wird. Außerdem hat er einen sehr ausgeprägten Überlebenstrieb und ist sehr groß. Für unseren Zweck schien er genau richtig zu sein.
    Nachdem wir mit den Gesängen und Tänzen fertig waren, bildeten wir zu neunt einen kleinen Kreis: der Älteste, Ooota, der Medizinmann, die Heilerin, die Zeitbewahrerin, die Erinnerungsbewahrerin, der Friedensstifter, die Schwester der Vogelträume und ich selbst.
    Der Älteste nahm mit untergeschlagenen Beinen den Platz mir gegenüber ein; er beugte sich vor, um mir in die Augen blicken zu können. Jemand von außerhalb des Kreises reichte ihm einen Steinkelch, der mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Er nahm einen Schluck. Während er den Becher an seinen rechten Nachbarn weiterreichte, ließ mich sein durchdringender Blick, der bis in die Tiefe meines Herzens reichte, nicht los. Er sprach: »Wir, die >Wahren Menschen der Göttlichen Einheit<, werden den Planeten Erde verlassen. In der Zeit, die uns noch bleibt, wollen wir ein Leben auf höchster spiritueller Ebene führen: Wir haben für uns den Zölibat gewählt, eine Lebensform, die körperliche Disziplin erfordert. Wir gebären keine Kinder mehr. Wenn unser jüngstes Stammesmitglied stirbt, wird dies das Ende der reinen Menschenrasse sein.
    Wir sind ewige Wesen. Es gibt im Universum viele Orte, an denen die Seelen, die uns folgen werden, körperliche Gestalt annehmen können. Wir sind die direkten Nachfahren der ersten Lebewesen. Seit Anbeginn der Zeiten haben wir alle Prüfungen bestanden und überlebt, indem wir standhaft an unseren alten Werten und Gesetzen festhielten. Unser Gruppenbewußtsein hat die Erde bisher zusammengehalten. Nun haben wir die Erlaubnis zu gehen. Die Menschheit hat sich verändert, und die Menschen haben dem Land einen Teil seiner Seele genommen. Wir werden uns im Himmel mit diesem Teil vereinen.
    Wir haben dich als Botin erwählt, um deinem Volk, den Veränderten Menschen<, mitzuteilen, daß wir die Erde verlassen. Wir überlassen euch die Mutter Erde.
    Und wir beten, daß ihr erkennen möget, was ihr mit eurer Art zu leben dem Wasser, den Tieren, der Luft und auch euch selbst antut. Wir beten, daß ihr eine Lösung für eure Probleme finden werdet, ohne diese Welt zu zerstören. Es gibt auch bei euch >Veränderten< einzelne Menschen, die dabei sind, zu ihrem geistigen Wesen und wahren Selbst zurückzufinden. Wenn ihr euch nur ausreichend bemüht, habt ihr noch Zeit, der Zerstörung auf diesem Planeten Einhalt zu gebieten, aber wir können euch dabei nicht länger helfen. Unsere Zeit ist abgelaufen. Die Zyklen des Regens haben sich bereits verändert, die Hitze hat zugenommen, und in der Pflanzen- und Tierwelt gibt es schon seit Jahren immer weniger Wachstum. Wir können für unsere Seelen nicht länger körperliche Hüllen bereitstellen, weil es hier in der Wüste bald kein Wasser und keine Nahrung mehr geben wird.« In meinem Kopf wirbelten die Gedanken umher.
    Jetzt ergab alles einen Sinn. Sie hatten sich nach all den Jahren einer Außenseiterin geöffnet, weil sie einen Boten brauchten. Aber warum ausgerechnet ich?
    Man reichte mir den Kelch. Ich nahm einen

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