Traumfänger
vergnügen. Obwohl die Regierung zugesteht, daß der Felsen gleichermaßen den britischstämmigen Staatsbürgern und den Ureinwohnern gehört, ist er offensichtlich nicht mehr heilig und kann auch für keine heiligen Riten mehr genutzt werden. Vor ungefähr einhundertfünfundsiebzig Jahren begannen die »Veränderten«, Telegraphenleitungen über die weiten, offenen Flächen zu spannen. Die Ureinwohner mußten sich für ihre Stammestreffen einen anderen Ort suchen. Seither hat man alle Kunstgegenstände, historischen Zeichnungen und Relikte der Aborigines entfernt.
Einige Objekte wurden in australischen Museen ausgestellt, aber die meisten wurden exportiert. Man raubte die Grabstätten der Aborigines aus und ließ ihre Altäre nackt zurück. Die Stammesleute vermuten, die »Veränderten« seien so dumm gewesen zu glauben, daß die Aborigines ihre religiösen Riten aufgeben würden, wenn man ihnen nur ihre heiligen Stätten nähme. Auf die Idee, daß sie sich einfach einen anderen Ort suchen könnten, sind die Australier nie gekommen.
Aber es war trotzdem ein schlimmer Schlag für alle Stammestreffen der Aborigines und erwies sich als Anfangspunkt einer Entwicklung, die zur völligen Vernichtung der Aborigine-Völker führte. Einige wehrten sich gegen die Übergriffe der Weißen und starben in einer Schlacht, die sie nur verlieren konnten.
Die meisten jedoch kamen auf der Suche nach den versprochenen Vorteilen in die Welt des weißen Mannes, wo es unter anderem angeblich auch Nahrung im Überfluß gab. Dort starben sie in Armut, der legalen Variante der Sklaverei.
Die ersten weißen Bewohner Australiens waren Sträflinge, die in Ketten gelegt mit Schiffen hierhergebracht wurden, um die überbelegten Gefängnisse in England zu entlasten. Selbst die Soldaten, die man mitschickte, um diese Sträflinge zu bewachen, waren Männer, die in ihrer Heimat als durchaus abkömmlich betrachtet wurden. Es überrascht nicht, daß die geld- und besitzlosen Sträflinge sich nach ihrer Haftzeit zu primitiven und wüsten Aufsehern entwickelten. Sie brauchten Menschen, die unter ihnen standen und über die sie Macht ausüben konnten. Die Ureinwohner mußten diese Rolle ausfüllen. Ooota erklärte mir, daß sein Stamm vor ungefähr zwölf Generationen an diese Stätte zurückgeführt worden sei: »Diese heilige Stätte hat unserem Volk seit Anbeginn der Zeiten das Überleben gesichert. Sie war schon da, als dieses Land noch voller Bäume war, ja sie war sogar schon da, als die große Flut kam, die alles bedeckte. Hier war unser Volk sicher. Von euren Flugzeugen aus ist dieser Ort nie entdeckt worden, und in der Wüste können die
>Veränderten< nicht lange genug überleben, um ihn zu finden. Nur sehr wenige Menschen wissen überhaupt von dieser Stätte. Euer Volk hat die uralten Besitztümer unserer Stämme geraubt. Wir haben nur noch, was du gleich hier unter der Erdoberfläche sehen wirst. Es gibt keinen anderen Aborigine-Stamm, der noch über Dinge verfügt, die mit seiner Geschichte in Verbindung stehen. Alles haben die >Veränderten< gestohlen. Dies hier ist alles, was von einer ganzen Nation, einem ganzen Volk, von >Gottes Wahren Menschen übriggeblieben ist. Wir sind Gottes erstes Volk, die einzigen wahren Menschen, die noch auf diesem Planeten leben.«
Die Heilerin kam an diesem Nachmittag ein zweites Mal zu mir. Sie trug einen Behälter mit roter Farbe bei sich. Die Farben, die sie benutzen, sollen unter anderem die vier Bestandteile des Körpers symbolisieren: Knochen, Nerven, Blut und Zellgewebe. Mit Gesten und mentalen Anweisungen forderte sie mich auf, mein Gesicht rot anzumalen. Ich tat es. Dann traten noch einmal alle aus der Höhle heraus. Ich blickte einem jeden von ihnen in die Augen und versprach immer wieder, niemals die genaue Lage dieser heiligen Stätte preiszugeben. Dann führte man mich hinein.
23 • Spuren der Traumzeit
Im Inneren der Höhle befand sich ein riesiger Raum mit Wänden aus Stein, von dem Gänge in mehrere Richtungen abzweigten. Bunte Fahnen schmückten die Wände, und aus dem Felsgestein ragten Statuen hervor. Aber was ich in einer Ecke des Raumes erblickte, ließ mich an meinem Verstand zweifeln. Es war ein Garten! Die Felssteine auf dem Gipfel des Hügels waren so gruppiert, daß das Sonnenlicht hereinfallen konnte, und ich hörte deutlich das Geräusch von Wasser, das auf einen Stein tropfte. Über einen Steintrog wurde Grundwasser herbeigeführt, das in der ganzen Zeit, die wir dort
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