Traumfresser 3 - Die Alchemie des Bösen
einen verstohlenen Blick auf den Doktor noch verstärkt. Er verschwand um die Ecke.
»Verzeihung, Alice, aber haben diese Herren Ihre Residenz so früh am Tag aufgesucht, oder gehen sie nun, nachdem sie die Nacht hier verbracht haben?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Sir«, antwortete sie leise.
»Aber Sie kannten den Colonel. Sie müssen auch den anderen Herrn kennen.«
»Ich weiß es wirklich nicht.«
»Natürlich – das erste Gebot für Vertrauen ist Diskretion. Aber wenn ich Sie stattdessen fragen darf …«
Sie vollführte lediglich noch einen unterwürfigen Knicks und eilte weiter.
Alice klopfte viermal an eine Tür, die mit glänzendem Stahl verstärkt war. Ein schmales Sichtfenster wurde auf- und dann fast genauso schnell wieder zugeklappt. Ein kräftiger Mann mit kirschholzfarbener Haut öffnete. Da sie kein Bedürfnis mehr nach Ablenkung verspürte, knickste Alice erneut und floh dann den Flur hinab. Die große Hand, die sie ins Zimmer winkte, hielt einen Revolver, dessen geölter Lauf einem sechsten Finger glich.
Es war unübersehbar ein Arbeitszimmer – Kontenbücher, Schreibunterlagen, Notizbücher, ein Stahlschrank und ein großer Abakus, der an einen Tisch geschraubt war. Glänzende Rohre führten von der Decke hinab zu einer weiteren Rohrpoststelle, und Svenson sah, wie ein Lederbehälter in die gepolsterte Kammer schoss. Der dunkelhäutige Mann ignorierte es. Svenson räusperte sich.
»Sie müssen Mr. Mahmoud sein …«
»Eine Nachricht besagte, wir sollten Sie empfangen.« Für einen Mann seiner Größe war seine Stimme recht zart und so geschmeidig wie eine Oboe, doch seine Worte klangen gereizt. »Und jetzt sind Sie hier.« Mahmoud nickte kühl zu einer Türöffnung auf der gegenüberliegenden Seite des Büros.
»Also. Sehen Sie selbst.«
Svenson ließ Francesca los, und das Mädchen stürzte zur Tür. Auf der Schwelle blieb sie jedoch stehen und machte ein überraschtes Gesicht.
»Oh Doktor … sie sieht aus wie eine Königin .«
Er eilte zu ihr. Eine Frau lag mit geschlossenen Augen, in Seide gehüllt, auf einer Chaiselongue und hatte die Hände unter dem Busen gefaltet.
»Bleib hier, Francesca – rühr dich nicht von der Stelle .« Das Kind gehorchte angesichts seines schneidenden Tonfalls.
Behutsam untersuchte der Doktor den Puls der Frau an Handgelenk und Hals, zog beide Augenlider zurück, öffnete ihren Mund, untersuchte Fingernägel und Zähne und zupfte in Erinnerung an die Glaskrankheit sogar an ihrem Haar. Svensons nüchterner Blick schätzte sie auf fünfundvierzig. Ihr goldener Teint war fahl, doch er vermutete, dass sie in den letzten zwei Monaten keine Sonne gesehen hatte. Stammte sie aus Indien? War sie eine Araberin? Er blickte sich im Raum um, sah den maurischen Diwan und einen riesigen Schreibtisch, der jetzt überhäuft war mit den Abfällen eines Krankenzimmers. Es war ebenfalls ein Arbeitszimmer. Madeleine Kraft war keine gewöhnliche Frau. Das Old Palace gehörte ihr .
Es überraschte ihn nicht, dass solch eine Frau zum Ziel der Intrige geworden war. Eine Bordellbesitzerin besaß die Mittel, Tausende wohlhabender und einflussreicher Männer zu erpressen – sich das Gedächtnis von Mrs. Kraft anzueignen, lieferte sie mit einem Schlag der Intrige aus. Aber warum hatte die Contessa sich solche Umstände gemacht, um Svenson ausgerechnet jetzt zu Madeleine Kraft zu schicken?
»Francesca, was hat die Contessa noch gesagt? Bestimmt hat es irgendeinen Hinweis oder Ratschlag gegeben.« Er spähte hinter den Schreibtisch. »Hat sie ein Paket geschickt, um uns zu helfen?«
»Kein Paket.«
»Kindchen, es muss eins geben. Ihre eigenen Experimente mit dem Glas …«
»Es gibt mich .« Das Mädchen setzte ein hochmütiges Grinsen auf, das ihm den Magen umdrehte. Bevor er antworten konnte, drangen laute Stimmen aus dem Vorraum herein.
»Sie sind Fremde! Was wird der Colonel sagen?«
»Was kümmert mich das?« Das war Mahmoud.
»Verdammt, wir haben beschlossen …«
» Sie haben beschlossen …«
Ein spitznasiger Mann mit einem Schnurrbart und langen, eingeölten Haaren stürmte herein und ließ seinen Blick umherschweifen, um festzustellen, ob etwas gestohlen worden war. Mahmoud wartete im Türrahmen. Der Eindringling zog seine weiße Husarenjacke zurecht und ließ dann, während er den Doktor und das Kind anstarrte, nacheinander seine Finger knacken.
»Sind Sie Mr. Gorine?«, fragte Svenson. »Ich bin Abelard Svenson. Stabsarzt der Marine von Mecklenburg, im
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