Traumkristalle
im Wesentlichen nur durch die zur Zeit erreichte Stufe unterscheiden. Bei der Venus mag es sein, daß sie, aus ihrer dichten Atmosphäre zu schließen, sich noch auf einem Standpunkte befindet, wie etwa die Erde zur Zeit der Steinkohlenformation. Wer dahin käme, fände auf ihr als höchstentwickelte Bewohner vielleicht erst Fische oder Amphibien vor. Der Mars dagegen mag uns in der Entwicklung nicht um hunderttausend, sondern um hundertmillionen Jahre voran sein. Seine Bewohner werden uns also viel gewaltiger in der Kultur übertreffen als wir die höchstentwickelten Erdbewohner vor der Eiszeit. In diesem Falle wird auch ihre Hochkultur es verstanden haben, die Natur zu bezwingen, die ihnen durch Verlust an Wärme, Luft und Wasser mit Vernichtung droht. Kein Fernrohr und keine Spektralanalyse kann uns zeigen, welche künstliche Atmosphäre und Temperatur sich die Martier unmittelbar an oder unter der Oberfläche des Planeten geschaffen haben. Man könnte sich dies wohl ausmalen; poetisch aber wäre eine solche Kultur nur zu verwenden, insofern sie auch unsern menschlichen Anforderungen an Schönheit und Gemütlichkeit entspräche. Denn der Leser kann nur dort gefesselt werden, wo er an seinen eignen Interessen und Erlebnissen gepackt wird. Die Poesie muß daher stets anthropomorphisieren, sonst würden ihre Persönlichkeiten und Charaktere uns unverständlich sein.
Von dieser Einschränkung befreit in gewissem Grade ist nun die andre Richtung des Bewußtseins, die ebenfalls höhere Geister als die menschlichen fordert, die Weltauffassung. Ein Weltbild, das zwischen Tier und Gott keine anderen Stufen geistigen Genießens kennt als den Menschen, vermag uns wenig zu befriedigen, seitdem wir die unendliche Fülle des physischen Universums kennen gelernt haben und die Dämonenwelt des Volksglaubens aus der Natur vertreiben mußten. Wir sehnen uns nach Geistern, die unsern Idealen gleichen, und verstehen nicht die enge Begrenzung einer unendlichen Macht, die zahllose Weltsysteme schaffen sollte, um auf einem Sandkorn wie die Erde ein Geschlecht wie das unsre als höchstes Produkt des Lebens zu erzeugen.
In der Weltauffassung sind wir nicht so eng an die ästhetische Grenze gebunden wie in der Dichtung. Denn die Weltauffassung arbeitet nicht wie die Kunst mit der unmittelbaren Gegenwart des sinnlichen Bildes, sondern mit konstruierenden Gedanken und religiösen Gefühlen.
Poesie wie Weltanschauung sind also der Wissenschaft gegenüber beide dadurch gebunden, daß sie dem wissenschaftlichen Standpunkt ihrer Zeit nicht widersprechen dürfen; die Poesie aber steht sich dabei noch schlechter, weil sie zugleich ästhetisch und anschaulich bleiben muß. Dafür ist jedoch die Dichtung in einer anderen Richtung freier als der Glaube. Wenn nämlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse, wie das ihre Aufgabe ist, weiter fortschreitet und zu neuen Auffassungen des Weltzusammenhangs gelangt, so verlieren dadurch Kunstwerke, die auf Grund des veralteten Standpunkts geschaffen sind, nicht im geringsten ihren Wert; es kann nur späterhin die Poesie in ihren Mitteln der Darstellung beschränkt werden. Die Odyssee bleibt schön, unabhängig von den Fortschritten des Weltverkehrs, aber ein Roman, der sich in der Gegenwart abspielt, darf sich nicht auf Homerischer Geographie aufbauen.
Das klassische Beispiel hierzu bietet das ptolemäische Weltsystem samt der aristotelischen Philosophie, die im Interesse der katholischen Kirche von der Scholastik dogmatisiert wurden. Dieses Weltsystem gründete sich auf den absoluten Gegensatz der irdischen Welt unter dem Monde und der himmlischen darüber. In der irdischen endlichen Welt herrscht die geradlinige Bewegung, die stets ein Ende haben muß; in der himmlischen die kreisförmige Bewegung, die unendlich fortläuft. Nur durch ein Wunder, das die Gnade Gottes mittels der Kirche vollzog, konnte man aus der Welt des Vergänglichen in die des Ewigen gelangen. Aber als die Beweise für die Kopernikanische Lehre sich häuften, da mußte G. Bruno verbrannt, da mußte Galilei verurteilt werden. Denn mit den Kristallsphären des Himmels und mit der aristotelischen Physik brach das Dogma in der alten Form zusammen. Und doch ließ sich der Sieg der Erkenntnis nicht aufhalten. Leider wird diese Tatsache immer wieder vergessen. Immer wieder mischt man theoretisches Wissen in religiöses Fühlen. Das ist aber nur angängig, solange aus diesem Wissen kein starres Dogma gemacht wird.
Vor dieser Gefahr des
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