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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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und Atome müssen uns jetzt ganz anders beeinflussen.“
    „Hm!“ lachte Onkel Wendel in seiner Art. „Was sind denn Ätherwellen und Atome? Ausgeklügelte Maßstäbe sind’s, berechnet von Menschen für Menschen. Jetzt machen wir uns klein, und alle Maßstäbe werden mit uns klein. Aber was hat das mit der Empfindung zu tun? Die Empfindung ist das erste, das Gegebene; Licht, Schall und Druck bleiben unverändert für uns, denn sie sind Qualitäten. Nur die Quantitäten ändern sich, und wenn wir physikalische Messungen anstellen wollten, so würden wir die Ätherwellen auch hundertmillionenmal kleiner finden.“
    Wir waren inzwischen auf der Seifenblase weitergewandert und an eine Stelle gekommen, wo durchsichtige Strahlen springbrunnähnlich rings um uns in die Höhe schossen, als mich ein Gedanke durchzuckte, der mir vor Entsetzen das Blut in den Adern stocken ließ. Wenn die Seifenblase jetzt platzte! Wenn ich auf eines der entstehenden Wasserstäubchen gerissen wurde und Onkel Wendel mit seinem Mikrogen auf ein anderes! Wer sollte mich jemals wiederfinden? Und was sollte aus mir werden, wenn ich in meiner Kleinheit von ein sechzigtausendstel Millimeter mein Lebenlang bleiben mußte? Was war ich unter den Menschen? Gulliver in Brobdignak läßt sich gar nicht damit vergleichen, denn mich konnte überhaupt niemand sehen! Meine Frau, meine armen Kinder! Vielleicht sogen sie mich mit dem nächsten Atemzuge in ihre Lunge, und während sie meinen unerklärlichen Verlust beweinten, vegetierte ich als unsichtbare Bakterie in ihrem Blute!
    „Schnell, Onkel, nur schnell!“ rief ich. „Gib uns unsere Menschengröße wieder! Die Seifenblase muß ja sofort platzen! Ein Wunder, daß sie noch hält! Wie lange sind wir denn schon hier?“
    „Keine Sorge“, sagte Onkel Wendel ungerührt, „die Blase dauert noch länger, als wir hier bleiben. Unser Zeitmaß hat sich zugleich mit uns verkleinert, und was du hier für eine Minute hältst, das ist nach irdischer Zeit erst der hundertmillionste Teil davon. Wenn die Seifenblase nur zehn Erdsekunden lang in der Luft fliegt, so macht dies für unsere jetzige Konstitution ein ganzes Menschenalter aus. Die Bewohner der Seifenblase freilich leben wieder noch hunderttausendmal schneller als gegenwärtig wir.“
    „Wie, du willst doch nicht behaupten, daß die Seifenblase auch Bewohner habe?“
    „Natürlich hat sie Bewohner, und zwar recht kultivierte. Nur verläuft ihre Zeit ungefähr zehnbillionenmal so schnell wie die menschliche, d.h. sie empfinden, sie leben zehnmillionenmal so rapid. Das bedeutet, drei Erdsekunden sind soviel wie eine Million Jahre auf der Seifenblase, wenn auch deren Bewohner den Begriff des Jahres in unserm Sinne nicht ausgebildet haben, weil ihre Seifenkugel keine regelmäßige und genügend schnelle Rotation besitzt. Wenn du nun bedenkst, daß diese Seifenblase, auf der wir uns befinden, vor mindestens sechs Sekunden entstand, so mußt du zugeben, daß in diesen zwei Millionen Jahren sich schon ein ganz hübsches Leben und eine angemessene Zivilisation hierselbst entwickeln konnte. Wenigstens entspricht dies meinen Erfahrungen auf anderen Seifenblasen, welche alle in ihren Produkten die Familien-Ähnlichkeit mit der Mutter Erde nicht verleugneten.“
    „Aber wo sind diese Bewohner? Ich sehe hier wohl Gegenstände, die ich für Pflanzen halten möchte, und diese halbkugelförmigen Kuppeln könnten eine Stadt vorstellen. Doch etwas Menschenähnliches kann ich nicht entdecken.“
    „Sehr natürlich. Unsere Empfindungsfähigkeit, wenn sie auch hundertmillionenmal so groß geworden ist als die der Menschen, ist doch noch hunderttausendmal langsamer als die der Saponier (so wollen wir die Bewohner der Seifenblase nennen). Während wir jetzt eine Sekunde vergangen glauben, verleben sie 28 Stunden. In diesem Verhältnisse ist hier alles Leben beschleunigt. Betrachte nur diese Gewächse.“
    „Es ist richtig,“ – sagte ich, „ich sehe deutlich, wie hier die Bäume – denn diese korallenartigen Bildungen sollen ja wohl Bäume sein – vor unseren Augen wachsen, blühen und Früchte zeitigen. Und dort scheint ein Haus gewissermaßen aus dem Boden zu wachsen.“
    „Die Saponier bauen daran. In dieser Minute, während welcher wir zuschauen, beobachten wir den Erfolg von mehr als zweimonatiger Arbeit. Die Arbeiter selbst sehen wir nicht, weil ihre Bewegungen viel zu schnell für unsere Wahrnehmungsfähigkeit verlaufen. Doch wir wollen uns bald helfen.

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