Traumkristalle
knirschen hörte, klopfte es an die Tür. In einen Mantel gehüllt trat ein Mann ins Zimmer, setzte, grüßend, ein Kästchen auf den Tisch und nahm selbst in aller Ruhe auf einem Stuhle Platz. Man konnte nicht sagen, ob er alt oder jung sei; seine Stirn war so hoch, daß sie den Haaren fast keinen Platz mehr gelassen; aber unter den dichten Augenbrauen glänzten zwei helle, durchdringende Sterne. Er ließ dem Philosophen keine Zeit, von seinem Erstaunen sich zu erholen, sondern begann:
„Gestatten Sie mir, Herr Doktor, Sie mit dem neuesten Fortschritte der Wissenschaft bekannt zu machen. Ich bin nämlich Psychotom und augenblicklich auf der Reise, um meine Seelenpräparate abzusetzen; ich bin also sozusagen Reisender in philosophischen Effekten. Sie verstehen mich nicht recht? Ich sehe da einen Zweifel, erlauben Sie!“
Damit beugte er sich vor, griff vorsichtig mit zwei Fingern an das Haar des Philosophen und nahm, wie man jemand einen Käfer vom Rocke entfernt, einen kleinen Gegenstand heraus; den er auf den Rand des Tintenfasses setzte. Mit Verwunderung erkannte Schulze ein allerliebstes Figürchen, nicht höher als ein paar Zentimeter, das sofort an der Tinte zu nippen begann.
„Es ist die Kategorie der Negation“, sagte der Psychotom, „ich sah, daß sie Ihnen das Verständnis meiner Auseinandersetzungen erschwerte, deshalb entfernte ich sie. Die wohltätige Wirkung wird nicht ausbleiben.“
„Aber erlauben Sie …“
„Bitte, Herr Doktor, Ihr Bedenken ist nur noch eine Nachwirkung, der Zweifel wird sogleich aufhören. Befürchten Sie nichts, ich setze Sie Ihnen wieder ein; inzwischen stärkt sie sich, denn Tinte ist ihr Lieblingsgetränk. Doch hören Sie weiter. Es ist Ihnen bekannt, daß die Gehirn-Physiologie zu keinen sicheren Resultaten kommt. Wir haben daher einen andern Weg eingeschlagen, wir sezieren das Bewußtsein selbst. Man muß die logischen Abstraktionen nicht bloß denken, sondern man muß sie realisieren, personifizieren. Das sei nichts Neues, wollen Sie sagen, das habe schon Platon getan. Aber hat er sie greifbar dargestellt, daß man mit ihnen umgehen kann? Mythologisch ja, aber nicht anschaulich. Sehen Sie, das ist das Problem: Auch die Funktionen des Bewußtseins müssen in der räumlichen Anschauung dargestellt werden, aber nicht, indem man das Gehirn zerstört, wie die Physiologen, sondern indem man die lebendige Wirkung in lebendigen Präparaten entwickelt. Es ist wahr, auch wir, die Psychotomen, können die Resultate unserer Zergliederung nur als sinnliche Dinge aufzeigen, aber unsere Produkte sind nichts Unverständliches und Totes, sondern sie bewahren die charakteristische Eigenschaft des Bewußtseins, ein selbständiges, lebendiges Ich zu bleiben. Unsere Präparate sind selbst Personen, unvollständige freilich, denn sie sind ja nur Teile der vollen, menschlichen Persönlichkeit, aber sie sind doch lebendig und ein sonderbares Völkchen, das man mit Vergnügen studiert.“
„Das ist mir vollkommen klar“, sagte der Philosoph, „ich danke Ihnen. Sie haben offenbar eine Methode –“
„Lieber Herr Doktor“, unterbrach ihn der Fremde, „die Methode der Psychotomie kann ich Ihnen heute nicht entwickeln, begnügen Sie sich vorläufig mit den Resultaten. Ich habe die wesentlichsten mitgebracht.“
Damit öffnete er das Kästchen und entnahm ihm verschiedene Päckchen und Gläser.
„Zuerst einige Kleinigkeiten“, begann er wieder. „Das sind Dinge mit denen wir unsere Fabrikation anfingen, ehe wir die eigentlichen Seelentätigkeiten darstellen konnten. Hier z.B. haben Sie die berühmten platonischen Ideen.“
Er reichte ein versiegeltes Päckchen hin, das Schulze aufzuwickeln suchte.
„Ja“, rief der Psychotom, in dem er ihm das Päckchen wieder fortnahm, „öffnen dürfen Sie es nicht. Die Ideen sind ohne materielle Umhüllung nicht sichtbar.“
„Aber dann weiß ich ja gar nicht, was in dem Papier ist.“
„Das müssen Sie mir eben glauben! Hier sind übrigens einige Atome von Demokrit, sie sind etwas zu groß geraten, ich will Sie Ihnen schenken. Wir haben auch einige moderne Atome dargestellt, aber es ist kein Staat damit zu machen. Wofür halten Sie dieses kleine Universum in nuce? Es sieht niedlich aus zwischen den Nußschalen, nicht wahr? Nur etwas dunkel darin! Es ist nämlich eine Leibnizsche Monade, und die haben bekanntlich keine Fenster. In diesem Glase ist eine Rarität, die ich Ihnen aber etwas billiger lassen kann; es ist ein Stückchen von
Weitere Kostenlose Bücher