Traummann in Klischee - ein heiterer Frauenroman
gesetzt. Sie alle besaßen in ihrer Nacktheit eine Verletzlichkeit die anrührend wirkte. Brügge hatte seine intimsten Bilder unter hauchdünnem Stoff verhüllt. Er drückte damit etwas aus, was ein jeder verstand.
Die Ausstellung erzählte eine Geschichte. Sie schilderte den Werdegang der Frau, beginnend mit der Idee, der idealen Vorstellung von Eva, einer Art Urmutter. Die männliche Sicht auf den weiblichen Körper über Jahrhunderte hinweg, bis zum Befreiungsschlag, einer feministischen Bewegung und deren Ansicht zum Frausein. Ein Kreis, der bis in die Gegenwart hineinführte. Soweit, dass Brügge zumindest bedeutsam für unseren Kulturkreis, nun auch den Mann zum voyeuristischen Fixpunkt eines medialen Zeitalters werden ließ. Es ist nicht mehr nur die Frau, deren abgestreifte Hüllen für ein mehr oder weniger großes Interesse sorgen. Auch der Mann wird zum Objekt.
So wurden aus Frauengeschichten am Ende sogar Männergeschichten.
Sergej rief nach mir, und ich trottete zu einem kleinen Portrait, welches wohl seine besondere Aufmerksamkeit erhalten hatte. Es hing an einem Pfeiler, wie losgelöst von den anderen, und trug den Titel „Die Unschätzbare“.
Sergej schaute mich von der Seite an, ich hätte schwören können, ein Ausdruck des Triumphes lag auf seinem Antlitz.
„Du weißt ja, was die Unschätzbare bedeutet?“ Ich nickte.
„Siehst du die Frau, die ich auch sehe?“
„Du meinst auf dem Bild?“
„Machst du das mit Absicht, natürlich auf dem Bild!“
Versonnen starrte ich auf die Zeichnung, die fast ein wenig unscheinbar neben all den farbenfrohen Kunstwerken gnadenloser Ästhetik unterging. Und doch, in jedem Strich steckte ein winziger Hauch von Zuneigung.
Eine ältere Dame mit Nickelbrille und Parka, ein sinniger Feingeist, stellte sich neben mich, und ein kurzer Seitenblick genügte um sie zu veranlassen, ein Wort an mich zu richten.
„Die Frau auf dem Portraitbild sieht fast aus wie Sie, nur sind Ihre Haare kürzer. Welch ein Zufall. Eine schöne Mischtechnik, die er da angewendet hat und so viel Liebe zum Detail, eine außergewöhnliche Studie, finden Sie nicht?“, ich nickte mechanisch.
Ach Brügge!
Den vierten Advent hatte ich bei meinen Eltern und gemeinsam mit meinem Bruder samt Freundin verbracht. Mein Kleiner war auf seiner Reise zum Mann geworden, und das machte mich richtiggehend stolz. Tante Leonore und Onkel Archibald waren auch da gewesen. Mein Onkel hatte seine Oper beendet. Leonore war darüber mehr als beglückt.
Ich saß im Zug nach Hause. Die Planung sah vor, gemeinsam mit Annegret und Peter auf die Weihnachtsparty von Freunden zu gehen. Peter brauchte spirituelle Unterstützung, da er seinen Abstecher ins gleichgeschlechtliche Beziehungsmilieu noch immer nicht so recht verkraftet hatte. Die Liebe, ganz gleich zu welchem Menschen, kann jeden aus der Bahn reißen. Noch zehn Minuten bis Berlin Hauptbahnhof, mein Handy klingelte.
„Hallo, hallo Antonia?“
Ein zartes Stimmchen am anderen Ende der Leitung.
„Konrad?“
„Du hast dis gar nis gemeldet. Nis einmal und dabei tu is ganz viel an dis denken!“
„Konrad, ach herrje, ja sag mal, von wo rufst du denn an?“
„Is bin hier, auf den Weihnachtsmarkt mit Nathan, und der hat gesagt, is soll dis anrufen und sagen, wie is dis vermisse.“
„Ach Gottchen, Konrad, das ist der Weihnachtsblues, das kenne ich. Auf welchem Weihnachtsmarkt seid ihr denn?“
„Nathan, Nathan…“, das Stimmchen rief nach seinem Bruder, der offensichtlich gerade mit dem Kauf gebratener Mandeln beschäftigt war, wie ich aus dem Off vernehmen konnte. Er schien seinem Bruder das Telefon aus der Hand zu reißen:
„Toni, man, warum rufst du nicht mal an, wieso meldest du dich nicht mal! Wir vermissen dich, echt!“ Nathan schmatzte in mein Ohr. Anstand war ein Wort, welches er erst noch buchstabieren lernen musste.
„Ich euch auch, irgendwie!“
„Na man, und warum meldest du dich nicht, hast nicht mal Tschüss gesagt!“
„Ich weiß“, verschämt schaute ich auf meine Fußspitzen, konnte sie aber nicht sehen, da sie unter dem Rucksack meines Gegenübers, eines Rüpels vom Feinsten, eingesperrt waren. Der Zug war überbelegt, so voll wie er kurz vor Weihnachten, angefüllt mit Heimkehrern, nur sein konnte.
„Wo seid ihr denn, wollen wir uns vielleicht auf dem Adventsmarkt treffen?“, ich reiste mit leichtem Gepäck, warum nicht. So könnte ich die kleinen Krümelgeister in die Arme schließen und mich über
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