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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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war alles in Ordnung – Bolus eigenhändig, die Firma Grieneisen komme später.
    Man sollte ihn verbrennen, sagte Borst. Eine Witwe in Amerika, Ägyptologin, habe ihren Gatten im Keller balsamiert und noch zehn Jahre heiter mit ihm gelebt, während er auf seinem Lieblingssessel seine Lieblingspfeife vor dem TV in der Hand hielt – das ist Liebe.
    Na, ich weiß nicht, sagte Anita, vor dem Fernseher?
    Seine Lieblingssendungen liefen, sagte Borst … Ich könnte unseren lieben Curtius auch –
    Merde, rief Frau Horak, du Crétin, hau ab zu deinen Kleinkadavern. Geht alle. Ich werde bei Curtius bleiben und einige Riten für sein Seelenheil verrichten, die ich von den Ishoni gelernt habe. Leib ist Seele, und Seele ist Leib mit Restbestand.
    Viel Glück, Arthur, adieu.
    Ich küsste ihre kalte Hand und ging.
    Ich habe sie nie wieder gesehen.
    Sie heiratete irgendwann einen reichen Pelzhändler mit Filialen in Berlin, Wien, Moskau und Murmansk, löste die Praxis auf, entließ Borst in eine dunkle Zukunft mit unbekannten Objekten zum Präparieren und ist jetzt, so hoffe ich von ganzem Herzen, glücklich in Pelzen, mögen es Silberfüchse, Zobel oder Biber sein, unter denen sie sich in diesen kalten Zeiten wärmt.
    Borst soll wieder den zweiten Preis des Salzburger Taxidermisten-Treffens gewonnen haben – zwei an den Hüften zusammengewachsene Pinselohr-Äffchen. ‹Liebesstreit beim Entlausen› wird das Exponat im Katalog genannt; ich hätte Borst den ersten Preis gegönnt.
    Curtius wurde verbrannt und ruht nun, wenn er ruht, auf dem Friedhof Grunewald; ich ging zu seiner Urnenbestattung nicht, ließ aber auf meine Kosten einen Grabstein machen, auf dem in goldenen Lettern steht –
    Franz Curtius
    1945–2007
    NIL ADMIRARI
    Sich über nichts wundern, ohne Punkt.
    Eine würdige Sentenz.
    Sie wird von Horaz benutzt, der Urheber ist Pythagoras.
    Wieder ein Kapitel beendet. Traurige Sache.
    Der Tod oder die Tode machen mich schlaflos; denke viel an den eigenen, der nicht wirklich das Thema ist, weil dem Tod das Sterben vorausgeht, die wahre und widerliche Vorgeschichte.
    Las in einer Zeitung eine Annonce: AZN. Kommen Sie zu uns – Anonyme Zwangsneurotiker, typographisch gesetzt wie die AA-Organisation der anonymen Alkoholiker.
    Nach zwei Flaschen Château Margaux ließ ich die Idee fallen, mich dieser Art von Geselligkeit auszusetzen.

 
    105 Ging zu Spoerri in die Sprechstunde; das Heidi Glock fehlte. Erfuhr, sie sei schwanger.
    Von wem, fragte ich. War wohl –
    Täter unbekannt, sagte Spoerri, er habe die blaue Stunde nach ihrer bewährten Lichtkur im Verdacht.
    Doc, sagte ich, in meinen Memoiren entfaltet sich allmählich das enervierende Element des Thanatologischen – was tun?
    Dagegen oder dafür?, fragte Spoerri.
    Dagegen, sagte ich.
    Falsch, sagte Spoerri, sind’s Erfindungen, austreiben, sind’s Erinnerungen – kultivieren.
    Weiß ich nicht, sagte ich, alte Geister aus der Vergangenheit. Vor dem großen Fenster lagerte Nebel. Zwei Krähen hackten auf einen Kadaver im Blumenbeet ein.
    Mein Freund Blondel sagte einmal – nehmen Sie einen Cognac, sagte Spoerri, bittesehr –, der Tod sei ein natürliches Implantat des Lebens; als er todkrank wurde, irgendein populärer Krebs, ließ er sich einen alten Denkvers drucken:
    Wer nicht stirbt, eh er stirbt,
    Der verdirbt, wenn er stirbt.
    Sieht man das Leben vom Tod her, wird man frei und leicht.
    Blondel war 62, als es ans Sterben ging, und machte den Versuch – in aller Selbstreflexivität, d.h. vernünftig, freundlich gegen seine Umgebung, aufmerksam gegenüber Funktionsverlusten und stoisch gegen seine Schmerzen –, die Welt zu verlassen. Gelang nicht. Er gab sich keine Kugel, aber eine Überdosis Morphium … Aber Pardon, wie sind wir auf dieses Thema gekommen, ist ja dumm und überflüssig; wir sind ja noch exemplarisch gesund, mein Bester. Meine Tablette, deren segensreiche Wirkung doch wohl herrliche Virulenz auf Ihre seelische und mentale Verfassung ausübt, ist – was wollte ich sagen … ich komme neuerdings auf Wörter, die in einer Satz-Konstruktion keine Bedeutung haben – streichen Sie ‹Virulenz› … Das Leben blüht, das Heidi ist schwanger, ein Kindchen wächst unter ihrem speditiven Herzen … Sie widmen sich ernsten Themen, wie ich sehe, alles das sind Zeichen und Symptome …
    Seine Hamsterbacken bebten, als er kraftvoll den Schädel mit dem dünnen Bart schüttelte.
    Bin heute nicht disponiert, sagte er. Die nubische Prinzessin

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