Traveler - Roman
gefährlich sein wie möglich.«
Sie wollte gerade von dem Kampf mit den Fußballrowdys in der U-Bahn erzählen, als glücklicherweise die Kellnerin mit dem zweiten Hamburger kam. Gabriel ignorierte ihn und versuchte, das Gespräch in Gang zu halten.
»Hört sich an, als wollten Sie kein Harlequin sein.«
»Ich habe versucht, ein bürgerliches Leben zu führen. Es war unmöglich.«
»Sind Sie traurig darüber?«
»Wir können uns unseren Weg nicht immer aussuchen.«
»Sie scheinen wütend auf Ihren Vater zu sein.«
Die Worte schlüpften unter ihrem Schutzschild hindurch und berührten ihr Herz. Eine Sekunde lang glaubte sie, laut losheulen zu müssen, bis die Welt um sie herum zusammenbräche. »Ich … ich habe ihn respektiert«, stammelte sie.
»Das bedeutet nicht, dass Sie ihm nicht böse sein können.«
»Vergessen Sie meinen Vater«, erwiderte Maya. »Er hat mit unserer augenblicklichen Situation nichts zu tun. Zur Zeit werden wir von der Tabula gesucht, und ich versuche, Sie zu schützen. Hören Sie auf, mit dem Motorrad auf und davon zu rasen. Ich muss Sie ständig im Auge behalten.«
»Wir sind mitten in der Wüste, Maya. Niemand kann uns sehen.«
»Das Raster existiert, auch wenn man die Linien nicht sieht.« Maya stand auf und warf sich den Schwertköcher über die Schulter. »Essen Sie weiter. Ich warte draußen.«
Für den Rest dieses Tages fuhr Gabriel mit gleichmäßiger Geschwindigkeit vor dem Lieferwagen her. Während sie sich weiter in Richtung Nordosten bewegten, ging die Sonne unter und verschmolz mit dem Horizont. Ungefähr vierzig Meilen vor der Grenze von Nevada entdeckte Maya das grünblaue Neonschild eines kleinen Motels.
Sie griff in ihre Handtasche und suchte nach dem Zufallszahlengenerator. Eine gerade Zahl würde bedeuten: weiterfahren. Eine ungerade: anhalten. Sie drückte den Knopf. Auf dem Display erschien 88167, deswegen machte sie ein Zeichen mit der Lichthupe und bog auf den Kiesparkplatz ab. Das Motel hatte die Form eines »U«. Zwölf Zimmer. Ein leerer Swimmingpool, auf dessen Boden Gras wuchs.
Maya stieg aus und ging zu Gabriel. Sie mussten sich ein Zimmer teilen, damit sie ihn bewachen konnte. Aber Maya entschied, ihm nichts davon zu sagen. Bedränge ihn nicht, dachte sie. Denk dir eine Ausrede aus.
»Wir haben nicht viel Geld. Es wäre billiger, wenn wir uns ein Zimmer teilen würden.«
»Ist schon okay«, erwiderte Gabriel und folgte ihr in die erleuchtete Rezeption.
Die Besitzerin des Motels war eine alte Kettenraucherin, die affektiert lächelte, als Maya Mr. und Mrs. Thompson auf eine kleine weiße Karte schrieb. »Wir zahlen bar«, sagte Maya.
»Ja, mein Kind. Ist gut. Und versucht, nichts kaputtzumachen.«
Zwei durchgelegene Betten. Ein kleiner Tisch mit zwei Plastikstühlen. Das Zimmer hatte eine Klimaanlage, aber Maya beschloss, sie nicht einzuschalten. Der Lärm des Ventilators würde das Geräusch sich anschleichender Feinde verschlucken. Sie schob das Fenster über den Betten auf und ging dann ins Badezimmer. Aus dem Duschkopf tropfte lauwarmes Wasser. Es hatte einen schalen, alkalischen Geruch, und nur mit Mühe gelang es Maya, das Shampoo aus ihrem kräftigen
Haar auszuspülen. Mit einem T-Shirt und einer kurzen Trainingshose bekleidet verließ sie das Bad. Nun war Gabriel an der Reihe.
Maya zog die Decke von ihrem Bett und schlüpfte dann unter das Laken. Das Schwert lag nur wenige Zentimeter neben ihrem rechten Bein. Fünf Minuten später kam Gabriel mit nassen Haaren aus dem Badezimmer. Er trug ein T-Shirt und Shorts. Langsam ging er über den abgewetzten Teppich und setzte sich dann auf seine Bettkante. Maya hatte das Gefühl, als wollte er etwas sagen, doch er überlegte es sich anders und kroch unter die Decke.
Maya lag auf dem Rücken und begann, alle Geräusche um sich herum einzuordnen. Der Wind, wie er leicht gegen das Fliegengitter drückte. Hin und wieder ein Lastwagen oder Auto, die auf dem Highway vorbeifuhren. Sie schlief ein, war halb im Traum, und dann war sie plötzlich wieder Kind, stand allein in dem U-Bahn-Tunnel, und die drei Männer stürzten sich auf sie. Nein. Denk nicht daran.
Sie öffnete die Augen und sah zu Gabriel hinüber. Sein Kopf lag auf dem Kissen, sein Körper war als sanfte Wölbung unter dem Laken zu erkennen. Maya fragte sich, ob er in Los Angeles viele Freundinnen hatte, die ihm Sachen sagten wie »Ich liebe dich«. Der Begriff Liebe weckte ihr Misstrauen. Er kam ständig vor, in Songtexten und
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