Traveler - Roman
wäre er lebendig.
Alles war in Ordnung, bis eines Tages Sheriff Randolph mit seinem Streifenwagen in unserer Einfahrt auftauchte. Er war ein großer Mann in Uniform, und er trug einen Revolver. Ich hatte Angst, weil ich dachte, dass er aus dem Raster käme und Vater ihn töten müsste …«
Maya unterbrach ihn. »Einmal saß ich mit einem Harlequin namens Libra im Auto, als wir wegen Geschwindigkeitsübertretung angehalten wurden. Ich nahm an, nun würde Libra dem Polizisten die Kehle durchschneiden.«
»Genauso hat es sich angefühlt«, sagte Gabriel. »Michael und ich wussten nicht, was nun geschehen würde. Meine Mutter machte für Sheriff Randolph einen Eistee, und dann setzten wir uns alle zusammen auf die Veranda. Zuerst ließ Randolph nur ein paar freundliche Bemerkungen fallen darüber, wie hübsch wir alles hergerichtet hätten. Dann sprach er von der örtlichen Grundsteuer. Weil wir nicht ans Stromnetz angeschlossen waren, vermutete er, wir wollten die Steuer aus politischen Gründen nicht zahlen.
Anfangs schwieg mein Vater. Aber er starrte Randolph unentwegt an, war voll auf ihn konzentriert. Plötzlich erklärte er, dass er die Steuer natürlich zahlen würde, und alle entspannten sich. Der Einzige, der nicht glücklich wirkte, war Michael. Er sagte dem Sheriff, dass er gern wie alle anderen Kinder zur Schule gehen würde.
Nachdem der Sheriff gegangen war, bestellte mein Vater uns zur Familienkonferenz in die Küche. Er erklärte Michael, dass ein Schulbesuch zu gefährlich sei, weil er einen Teil des Rasters ausmache. Michael erwiderte, wir müssten Dinge wie
Mathe, Naturwissenschaften und Geschichte lernen, denn ohne Bildung würden wir uns niemals gegen unsere Feinde verteidigen können.«
»Was geschah dann?«, fragte Maya.
»Wir sprachen für den Rest des Sommers nicht mehr darüber. Dann gab Vater sein Okay. Wir dürften zur Schule gehen, wir müssten jedoch vorsichtig sein. Wir durften niemandem unsere wirklichen Namen verraten und nicht über die Waffen sprechen.
Ich hatte wegen der anderen Kinder ein bisschen Sorge, aber Michael war glücklich. Am ersten Schultag wachte er zwei Stunden zu früh auf und überlegte, was er anziehen würde. Er erzählte mir, dass alle Jungs in der Stadt Bluejeans und Flanellhemden trugen. Und ebenso sollten wir uns auch kleiden. Dann würden wir aussehen wie alle anderen.
Mutter fuhr uns nach Unityville, und wir schrieben uns unter unseren falschen Namen an der Schule ein. Michael und ich verbrachten zwei Stunden im Büro der Konrektorin, Mrs. Batenor, die unsere Kenntnisse testete. Wir konnten beide überdurchschnittlich gut lesen, aber in Mathe hatte ich Schwächen. Die anderen Schüler begafften mich, als sie mich in meine neue Klasse brachte. Da verstand ich zum ersten Mal, wie anders meine Familie war und was für ein Bild die anderen von uns haben mussten. Die Kinder begannen zu tuscheln, bis die Lehrerin ihnen befahl, still zu sein.
In der Pause traf ich Michael auf dem Schulhof. Wir standen herum und sahen den anderen Jungen beim Footballspiel zu. Es war so, wie er gesagt hatte, alle trugen Jeans. Vier der älteren Jungs verließen das Spielfeld und kamen rüber, um mit uns zu reden. Ich kann mich immer noch an den Gesichtsausdruck meines Bruders erinnern. Er war so aufgeregt. So glücklich. Er dachte, die Jungen würden uns einladen, mit ihnen Football zu spielen, und dass wir ihre Freunde werden würden.
Einer der Jungs, der größte, sagte: ›Ihr seid die Millers.
Eure Eltern haben die Farm von Hale Robinson gekauft.‹ Michael versuchte, dem Jungen die Hand zu schütteln, aber der sagte: ›Eure Eltern sind verrückt.‹
Mein Bruder lächelte noch sekundenlang weiter, so als könnte er nicht glauben, was der Junge gesagt hatte. Er hatte all diese Jahre auf der Straße damit verbracht, sich eine Welt zu erträumen mit einer Schule, Freunden und einem normalen Leben. Er schob mich beiseite und schlug dem Burschen eine rein. Die anderen stürzten sich auf ihn, aber sie hatten keine Chance. Michael wehrte sich mit Kickboxen und Karate gegen Bauernjungen. Er prügelte sie, bis sie am Boden lagen, und hätte immer weitergemacht, wenn ich ihn nicht weggezogen hätte.«
»Also hatten Sie nie Freunde?«
»Nicht wirklich. Die Lehrer mochten Michael, denn er wusste, wie man mit Erwachsenen umgeht. Wir verbrachten unsere gesamte Freizeit auf der Farm. Das war okay. Wir hatten immer irgendwelche Projekte laufen – die Konstruktion eines Baumhauses
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