Traveler - Roman
liebenswert – eines der vielen Geschenke Gottes an eine sündige Welt. Wir haben es hier übrigens mit der Subspezies splendida zu tun, der Wüstenkönigsnatter. Diese Tiere fressen Mokassinschlangen und Klapperschlangen genauso wie Frösche, Vögel und Ratten. Sie töten für ihr Leben gerne Ratten. Vor allem große, eklige.«
»Dr. Briggs ist Schlangenforscherin«, erläuterte Antonio.
»Ich bin Zoologin mit dem Fachgebiet Reptilien. Ich habe achtundzwanzig Jahre an der University of New Hampshire unterrichtet, bis man mich zwangsweise in den Ruhestand versetzt hat. Sie hätten Mr. Mitchell, den Universitätspräsidenten, sehen sollen, einen albernen kleinen Mann, der schon nach ein paar Treppenstufen zu schnaufen beginnt, mir aber sagt, ich sei zu gebrechlich, um weiter zu unterrichten. Ein paar Wochen nach meiner Abschiedsfeier haben mir Freunde im Internet verraten, dass die Tabula herausbekommen hatten, dass ich eine Wegweiserin bin.«
Antonio stellte seinen Lebensmittelsack auf dem Tisch ab. »Aber sie wollte sich nicht verstecken.«
»Warum auch? Ich bin doch kein Feigling. Außerdem besitze ich ein paar Gewehre und Pistolen und weiß damit umzugehen. Doch dann haben Antonio und Martin von diesem Gelände erfahren und mich hergelockt.«
»Wir wussten, Sie würden der Versuchung nicht widerstehen können«, meinte Antonio.
»Stimmt. Vor fünfzig Jahren hat die Regierung Millionen von Dollar für den Bau dieser schwachsinnigen Raketenbasis verschwendet.« Sophia ging an die Seite des Wohnwagens und deutete auf drei riesige Betonscheiben, umgeben von rostigen Stahlrahmen. »Das da sind die Deckel der Schachte. Man konnte sie ferngesteuert öffnen und schließen. Dort drin waren die abschussbereiten Raketen.«
Sie drehte sich um und zeigte auf einen Erdhügel einen knappen Kilometer entfernt. »Nach dem Abtransport der Raketen hat der Bezirk da drüben eine Müllhalde angelegt. Unter zwanzig Zentimetern Erde und einer Plastikplane befinden sich der Müll von zwanzig Jahren und eine Unmenge von Ratten. Die Kettennattern fressen die Ratten und brüten in den Silos. Ich forsche über Splendidae und bin mit den Ergebnissen bisher sehr zufrieden.«
»Also, was tun wir jetzt?«, fragte Gabriel.
»Erst einmal essen. Frisch schmeckt das Brot nämlich am besten.«
Sophia wies jedem eine Aufgabe zu, und sie bereiteten eine Mahlzeit aus den verderblichen Lebensmitteln zu. Maya musste Brot schneiden und schien von dem stumpfen Messer genervt zu sein. Das Essen war schlicht, aber sehr schmackhaft. Frische Tomaten mit Essig und Öl. Ein cremiger, in Würfel geschnittener Käse. Roggenbrot. Erdbeeren. Zum Nachtisch zauberte Sophia eine Tafel belgischer Schokolade hervor und gab jedem genau zwei Stücke.
Es wimmelte nur so von Schlangen. Wenn eine davon lästig wurde, hob Sophia sie resolut auf und brachte sie zu einem feuchten Stück Erde nahe des Windrads. Im Verlauf des Essens erfuhr Gabriel ein bisschen mehr über Sophia Briggs. Ledig. Keine Kinder. Vor ein paar Jahren hatte sie sich einer Hüftoperation unterziehen müssen, aber im Allgemeinen mied sie Ärzte.
Mit Anfang vierzig hatte Sophia die Angewohnheit entwickelt, alljährlich zu den Narcisse Snake Dens in Manitoba zu reisen, um das Verhalten der fünfzigtausend rotseitigen Strumpfbandnattern zu erforschen, die in der Paarungszeit aus den Kalksteinhöhlen gekrochen kamen. Sie freundete sich mit einem katholischen Priester an, der dort in der Nähe lebte. Ein paar Jahre später enthüllte er ihr, dass er ein Wegweiser war.
»Pater Morrissey war ein erstaunlicher Mensch«, berichtete sie. »Genau wie die meisten Priester hatte er Tausende von Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern abgehalten, aber durch diese Erfahrungen wirklich etwas gelernt. Er war sehr scharfsinnig. Sehr weise. Manchmal hatte ich das Gefühl, er könnte meine Gedanken lesen.«
»Und wieso hat er gerade Sie ausgewählt?«
Sophia strich ein Stück des weichen Ziegenkäses auf eine Brotscheibe. »Meine Fähigkeit zu zwischenmenschlichen Beziehungen ist nicht sehr ausgeprägt. Ich mag Menschen, offen gestanden, nicht besonders. Sie sind eitel und dumm. Aber ich habe gelernt, eine gute Beobachterin zu sein. Ich kann mich auf eine bestimmte Sache konzentrieren und alle nebensächlichen Details außer Acht lassen. Vielleicht hätte Pater Morrissey jemand Geeigneteren als mich finden können, aber er erkrankte an Lymphdrüsenkrebs und starb vier Monate nach der Diagnose. Ich nahm mir ein
Weitere Kostenlose Bücher