Traveler - Roman
hinterlassen und sich in den letzten acht Jahren nicht ein einziges Mal bei ihnen gemeldet.
»Hat er je erwähnt, dass er eine Frau und zwei Söhne hatte?«
Rebecca legte Gabriel eine Hand auf die Schulter. »Nein, nie.«
»Was hat er zum Abschied gesagt?«
»Er umarmte uns und hielt eine kleine Ansprache.« Man hörte Martin an, wie aufgewühlt er war. »Er sagte uns, mächtige Männer würden alles daransetzen, verängstige, hasserfüllte Menschen aus uns zu machen. Sie würden versuchen, die Kontrolle über unser Leben zu erlangen und uns mit Illusionen vom rechten Weg abzubringen.«
»Ja, genau das waren seine Worte.«
»Aber wir sollten nie vergessen, dass wir das Licht im Herzen trügen.«
Immerhin löste das Foto – und Gabriels Reaktion darauf – ein Problem. Antonio glaubte nicht mehr, dass Maya und er Spione der Tabula waren. Während sie den Wein austranken, verriet er ihnen, dass die Gemeinschaft eine Wegweiserin schützte, die fünfzig Kilometer nördlich als Einsiedlerin lebte. Wenn sie immer noch zu ihr wollten, würde Antonio sie am nächsten Morgen hinbringen.
Maya schwieg auf dem Rückweg zum Blue House. Als sie dort ankamen, drängte sie sich an Gabriel vorbei und betrat vor ihm das Haus. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte etwas Aggressives an sich – so als bestünde prinzipiell überall die Gefahr eines Überfalls. Maya schaltete kein Licht an. Sie schien sich genau eingeprägt zu haben, wo jedes einzelne Möbelstück stand, und inspizierte rasch das Haus. Dann standen Gabriel und sie gemeinsam im Wohnzimmer.
»Lassen Sie’s gut sein, Maya. Wir sind hier sicher.«
Der Harlequin schüttelte den Kopf, so als hätte Gabriel etwas sehr Törichtes gesagt. Der Begriff Sicherheit besaß für Maya keine Bedeutung. Auch er war eine Illusion.
»Ich bin Ihrem Vater nie begegnet, und ich weiß nicht, wo er ist«, erklärte Maya. »Aber eines sollten Sie bedenken: Vielleicht
wollte er seine Familie beschützen. Ihr Haus wurde zerstört. Ihre Mutter tauchte zusammen mit Ihrem Bruder und Ihnen unter. Unserem Spion zufolge hielten die Tabula Sie für tot. Hätte Michael sich nicht ins Raster begeben, wären Sie immer noch in Sicherheit.«
»Vielleicht stimmt das, was Sie über meinen Vater sagen, aber trotzdem …«
»Möchten Sie ihn wiedersehen.«
Gabriel nickte.
»Möglicherweise finden Sie ihn irgendwann. Wenn Sie es schaffen, ein Traveler zu werden, begegnen Sie ihm ja vielleicht in einer anderen Sphäre.«
Gabriel stieg die Leiter zur Empore hinauf. Er versuchte einzuschlafen, aber es war unmöglich. Als ein kühler Wind vom Hochplateau herunterzuwehen begann und an den Fenstern rüttelte, setzte Gabriel sich auf und versuchte, sich in einen Traveler zu verwandeln. Nichts um ihn herum existierte wirklich. Sein Körper existierte gar nicht wirklich. Und er konnte ihn verlassen. Einfach so.
Über eine Stunde lang diskutierte er mit sich selbst. Angenommen, ich besitze diese Gabe, dann brauche ich das bloß zu akzeptieren. A plus B gleich C. Da er mit Logik nicht weiterkam, schloss er die Augen und ließ sich von seinen Gefühlen forttragen. Wenn er aus dem Käfig seines Körpers ausbrechen könnte, wäre es ihm vielleicht möglich, seinen Vater wiederzufinden. Gabriel versuchte im Geist, von der Dunkelheit ins Licht zu gelangen, doch als er die Augen aufschlug, saß er noch immer auf dem Bett. Frustriert und wütend schlug er mit der Faust auf die Matratze.
Irgendwann schlief er dann ein und wachte im Morgengrauen auf, eingewickelt in die Überdecke aus derber Wolle. Als die Schatten aus den Ecken der Empore verschwanden, zog Gabriel sich an und stieg die Leiter hinunter. Bad und Schlafzimmer
waren leer. Er ging den Flur entlang zur Küche und spähte durch einen Spalt zwischen Tür und Rahmen. Maya saß auf einem Stuhl, den Schwertköcher auf dem Schoß, die linke Hand flach auf der Tischplatte, und starrte einen hellen Sonnenfleck auf dem roten Fliesenboden an. Durch das Schwert und ihre konzentrierte Miene erschien es ihm, als wären ihr echte Verbindungen zu anderen Menschen verwehrt. Er bezweifelte, dass irgendjemand ein einsameres Leben führte: ständig gejagt, ständig darauf gefasst, zu kämpfen und zu sterben.
Maya drehte sich halb um, als er die Küche betrat. »Ist was zum Frühstücken da?«
»Ja, im Schrank sind Tee und Pulverkaffee, und im Kühlschrank Milch, Butter und Brot.«
»Prima.« Gabriel füllte den Wasserkessel und stellte ihn auf den Herd. »Wieso
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