Traveler - Roman
grünen Linie folgen würden, wären sie in sechs oder sieben Stunden am Ziel. Die direkte Strecke war praktisch, aber auch gefährlich. Die Tabula würde auf allen Hauptstraßen nach ihnen suchen. Maya entschied, durch die Mojavewüste ins südliche Nevada zu fahren und von dort aus auf kleinen Straßen bis nach Arizona.
Das Freewaysystem war verwirrend, aber Gabriel kannte sich aus. Er fuhr auf seinem Motorrad vor ihr her wie eine Polizeieskorte, wobei er mit der rechten Hand Zeichen gab: langsamer fahren, Spur wechseln, diese Ausfahrt. Zunächst folgten sie dem Highway bis Riverside County. Ungefähr alle zwanzig Meilen passierten sie ein Einkaufszentrum mit riesigen Supermärkten. Um die Läden herum drängten sich Wohnanlagen, deren Häuser mit ihren roten Ziegeldächern und leuchtend grünen Rasenflächen alle identisch aussahen.
Alle Ortschaften hatten Namen, die auf den Straßenschildern standen; doch Maya kamen diese Städte so künstlich vor wie Kulissen auf einer Opernbühne. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Leute hier einst in Planwagen angekommen waren, um das Land zu pflügen und Schulen zu bauen. Die Städte am Highway wirkten willkürlich geplant, so als hätte ein Tabula-Unternehmen ganze Gemeinden entworfen und die Bürger wären der Planung widerspruchslos gefolgt: Häuser kaufen, Jobs finden, Kinder in die Welt setzen und sie dem System zur Verfügung stellen.
In einer Stadt mit dem Namen Twentynine Palms bogen sie vom Highway auf eine zweispurige Asphaltstraße ab, die durch die Mojavewüste führte. Dieses Amerika war anders als jenes an den Schnellstraßen. Zunächst sah die Landschaft flach und kahl aus, aber dann passierten sie riesige Hügel aus rotem Fels, jeder so einzigartig wie eine Pyramide. Es gab Yuccapalmen mit schwertförmigen Blättern und Joshua Trees mit verdrehten Ästen, die sie an hochgereckte Arme erinnerten.
Nun, da sie den Freeway verlassen hatten, begann Gabriel, die Fahrt zu genießen. Er lehnte sich von einer Seite zur anderen und zog auf der Mitte der leeren Straße anmutige S-Kurven. Plötzlich wurde er schneller. Maya trat aufs Gaspedal und versuchte mitzuhalten, aber Gabriel legte den fünften Gang ein und brauste davon. Wütend musste sie zusehen, wie er immer kleiner und kleiner wurde, bis Motorrad und Fahrer schließlich am Horizont verschwanden.
Als Gabriel nicht zurückkam, begann sie, sich Sorgen zu machen. Hatte er beschlossen, die Sache mit dem Wegweiser zu vergessen und sich abzusetzen? Oder war etwas Schlimmes geschehen? Vielleicht hatte die Tabula ihn sich geschnappt und wartete nun auf sie. Zehn Minuten vergingen. Zwanzig Minuten. Als Maya schon fast in Panik geriet, tauchte vor ihr ein winziger Punkt auf. Der Punkt vergrößerte sich, und dann löste Gabriel sich aus dem Dunst. Er fuhr sehr schnell und schoss an Maya vorbei, lächelte und winkte. Idiot, dachte sie. Verdammter Idiot.
Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass er gewendet hatte. Als er sie abermals überholte, hupte sie und gab Lichtsignale. Gabriel zog auf die Gegenfahrbahn und ließ sich auf der Höhe des Lieferwagens zurückfallen. Maya kurbelte die Scheibe herunter.
»Das dürfen Sie nicht tun!«, schrie sie.
Gabriel machte irgendetwas mit dem Motorrad, sodass es
laut aufheulte. Er deutete auf sein Ohr und schüttelte den Kopf. Sorry, kann Sie nicht verstehen.
»Fahren Sie langsamer! Sie müssen in meiner Nähe bleiben!«
Gabriel grinste wie ein frecher kleiner Junge und brauste davon. Wieder jagte er die Straße entlang, bis der Dunst ihn verschluckte. Über einem ausgetrockneten See erschien eine Luftspiegelung. Das falsche Wasser funkelte und wogte unter einer weißen Sonne.
In Saltus hielt Gabriel vor einem Laden mit angeschlossenem Restaurant, das im Stil einer Pioniershütte aus Holzbalken errichtet war. Er tankte sein Motorrad auf und betrat das Gebäude.
Maya betankte den Lieferwagen, bezahlte den alten Mann an der Ladenkasse und ging durch einen offenen Torbogen ins Restaurant. Die Deckenlampen des mit landwirtschaftlichen Geräten dekorierten Raums waren aus alten Wagenrädern gefertigt. An den Wänden hingen ausgestopfte Köpfe von Rehen und Bergschafen. Es war spät am Nachmittag, und sie waren die einzigen Gäste.
Maya ließ sich gegenüber von Gabriel in einer Sitzecke nieder. Eine gelangweilte Kellnerin mit fleckiger Schürze nahm ihre Bestellung auf. Das Essen kam sofort. Gabriel schlang seinen Hamburger hinunter und bestellte einen
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