Traveler - Roman
zweiten, während Maya in ihrem Pilzomelett herumstocherte.
Aus Menschen, die in andere Sphären wechseln können, wurden oft spirituelle Anführer. An Gabriel Corrigan ließen sich jedoch keinerlei Anzeichen von Spiritualität entdecken. Meist verhielt er sich wie ein gewöhnlicher junger Mann, der sich für Motorräder interessierte und zu viel Ketchup über sein Essen kippte. Er war ein ganz normaler Bürger – mehr nicht –, und dennoch fühlte sich Maya in seiner Gesellschaft merkwürdig. Die Männer, die sie in London kennen gelernt
hatte, liebten den Klang ihrer eigenen Stimmen. Sie hörten nur mit einem Ohr zu und warteten stets auf eine günstige Gelegenheit, das Gespräch wieder an sich zu reißen. Gabriel war anders. Er beobachtete sie aufmerksam, konzentrierte sich auf das, was sie sagte, und schien auf ihre unterschiedlichen Launen eingehen zu können.
»Heißen Sie wirklich Maya?«, fragte er.
»Ja.«
»Und wie ist Ihr Nachname?«
»Ich habe keinen.«
»Jeder hat einen Nachnamen«, sagte Gabriel. »Es sei denn, man ist Rockstar oder König oder so was.«
»In London nannte ich mich Judith Strand. In dieses Land bin ich mit einem deutschen Reisepass eingereist, der meinen Namen mit Siegrid Kohler angibt. Ich trage Ersatzpässe dreier Nationalitäten. ›Maya‹ ist mein Harlequinname.«
»Was bedeutet er?«
»Harlequins wählen sich ihren eigenen Namen aus, wenn sie zwölf oder dreizehn Jahre alt sind. Es gibt kein festgelegtes Ritual. Man entscheidet sich einfach für einen Namen und teilt ihn seiner Familie mit. Die Namen müssen keine bestimmte Bedeutung haben. Der französische Harlequin Linden hat seinen Namen nach den herzförmigen Blättern der Linde ausgesucht. Und ein ziemlich finsterer weiblicher Harlequin aus Irland nennt sich ›Mother Blessing‹.«
»Und warum heißen Sie Maya?«
»Ich wollte mit meinem Namen meinen Vater ärgern. Maya ist ein anderer Name für die Göttin Devi, Begleiterin von Shiva. Er bedeutet aber auch ›Illusion‹ – die trügerische Welt der Sinne. Daran wollte ich glauben. An jene Dinge, die ich sehen, hören, fühlen kann. Nicht an Traveler und Sphären.«
Gabriel blickte sich in dem schmuddeligen Restaurant um. Wir vertrauen Gott , stand auf einem Schild. Alle anderen zahlen bar .
»Was ist mit Ihren Geschwistern? Laufen die auch mit Schwertern durch die Gegend, immer auf der Suche nach einem Traveler?«
»Ich bin ein Einzelkind. Meine Mutter kam aus einer Sikhfamilie, die bereits in dritter Generation in England lebt. Sie gab mir das hier …«
Maya hob den rechten Arm und zeigte ihr stählernes Armband. »Man nennt es Kara. Es erinnert mich daran, nichts zu tun, was Schande oder Schmach über mich bringen könnte.«
Maya wollte das Lokal so schnell wie möglich verlassen. Draußen könnte sie ihre Sonnenbrille aufsetzen und ihre Augen verstecken.
»Wie war Ihr Vater?«, fragte Gabriel.
»Sie brauchen nichts über ihn zu wissen.«
»War er verrückt? Hat er Sie geschlagen?«
»Natürlich nicht. Meist war er im Ausland unterwegs, um Traveler zu retten. Mein Vater verriet uns nie, wohin er reiste. Wir wussten nie, ob er lebte oder tot war. Er verpasste regelmäßig meinen Geburtstag und Weihnachten, um dann ganz unerwartet aufzutauchen. Vater benahm sich, als wäre das alles normal, als wäre er nur kurz um die Ecke gewesen, um ein Bier zu trinken. Ich habe ihn vermisst, glaube ich. Aber gleichzeitig wollte ich nicht, dass er nach Hause kommt. Das bedeutete nämlich, dass ich wieder Unterricht bekam.«
»Hat er Ihnen beigebracht, mit dem Schwert umzugehen?«
»Und das war noch längst nicht alles. Ich musste Karate, Judo und Kickboxen lernen und wie man verschiedene Schusswaffen bedient. Er versuchte, mir eine bestimmte Art zu denken anzugewöhnen. Wenn wir in einem Geschäft etwas gekauft hatten, bat er mich plötzlich, jede einzelne Person, die wir gesehen hatten, zu beschreiben. Wenn wir zusammen U-Bahn fuhren, wollte er, dass ich mir jeden Passagier im Wagen ansehe und dann die Reihenfolge des Kampfes festlege.
Man muss den stärksten Gegner zuerst ausschalten und sich dann nach unten weiterarbeiten.«
Gabriel nickte, so als verstünde er, wovon sie sprach. »Was hat er noch gemacht?«
»Als ich älter wurde, heuerte Vater Diebe oder Junkies an, damit sie mir nach der Schule folgten. Ich sollte sie bemerken und dann einen Weg finden, ihnen zu entkommen. Meine Ausbildung fand immer draußen auf der Straße statt. Es sollte so
Weitere Kostenlose Bücher