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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Werbespots. Wenn Liebe ein schwammiges, trügerisches Wort war, ein Wort für Bürger  – was war dann das Intimste, was ein Harlequin zu einem anderen Menschen sagen konnte?
    Da fiel ihr der Satz wieder ein, das Letzte, was ihr Vater in Prag zu ihr gesagt hatte: Ich würde für dich sterben.
    Sie hörte ein knarrendes Geräusch, als Gabriel sich unruhig hin und her wälzte. Einige Minuten vergingen, dann stopfte er sich zwei Kissen unter den Kopf. »Sie haben sich beim Mittagessen über mich geärgert. Vielleicht hätte ich diese Fragen nicht stellen sollen.«

    »Sie brauchen nichts über mein Leben zu wissen.«
    »Ich hatte auch keine normale Kindheit. Meinen Eltern war alles suspekt. Sie haben sich immer versteckt oder waren auf der Flucht.«
    Stille. Maya fragte sich, ob sie etwas sagen sollte. War es Harlequins und ihren Schutzbefohlenen erlaubt, über persönliche Angelegenheiten zu sprechen?
    »Haben Sie jemals meinen Vater kennen gelernt?«, fragte sie. »Können Sie sich an ihn erinnern?«
    »Nein. Ich kann mich aber daran erinnern, wie ich das Jadeschwert zum ersten Mal sah. Ich muss ungefähr acht Jahre alt gewesen sein.«
    Er sagte nichts weiter, und sie stellte keine Fragen mehr. Manche Erinnerungen waren wie Narben, die man vor anderen Menschen verbarg. Ein Lastzug rauschte am Motel vorbei. Ein Auto. Noch ein Lastwagen. Wenn ein Fahrzeug in den Hof einbog, würde sie die Reifen auf dem losen Kies knirschen hören.
    »Ich kann meine Familie vergessen, wenn ich aus einem Flugzeug springe oder auf dem Motorrad sitze.« Gabriels Stimme war leise, die Dunkelheit verschluckte seine Worte. »Aber sobald ich langsamer werde, kommt alles zurück …«

NEUNUNDZWANZIG
    I n all meinen frühen Erinnerungen geht es um Fahrten mit unserem Auto oder dem Pick-up. Wir packten ständig unsere Sachen und reisten ab. Ich schätze, dass Michael und ich aus diesem Grund so versessen auf ein Zuhause waren.
    Wenn wir an irgendeinem Ort länger als ein paar Wochen lebten, taten wir so, als wäre es für immer. Dann fuhr ein Auto öfter als zweimal an unserem Motel vorbei, oder ein Tankwart stellte meinem Vater eine ungewöhnliche Frage. Unsere Eltern fingen an, miteinander zu flüstern; sie weckten uns um Mitternacht, und wir mussten uns im Dunkeln anziehen. Noch bevor die Sonne aufging, waren wir wieder auf der Straße, auf dem Weg nach Nirgendwo.«
    »Haben Ihre Eltern Ihnen jemals etwas erklärt?«, fragte Maya.
    »Eigentlich nicht. Deswegen war es ja so beängstigend. Sie sagten bloß: ›Hier ist es zu gefährlich‹ oder: ›Böse Männer suchen nach uns‹. Und dann packten wir alles zusammen und fuhren los.«
    »Haben Sie sich denn nie darüber beschwert?«
    »Nicht in Gegenwart meines Vaters. Er trug immer abgewetzte Kleidung und Arbeitsstiefel, aber da war etwas an ihm – die Art, wie er einen ansah –, das ihn mächtig und weise erscheinen ließ. Ständig verrieten fremde Menschen meinem Vater ihre Geheimnisse, so als könnte er ihnen helfen.«
    »Wie war Ihre Mutter?«
    Für einen Augenblick schwieg Gabriel. »Ich muss immer an unsere letzte Begegnung vor ihrem Tod denken. Ich kriege es
einfach nicht aus meinem Kopf. Als wir klein waren, war sie immer so optimistisch. Wenn unser Wagen eine Panne hatte, ging sie mit uns auf das nächste Feld, und zusammen suchten wir nach wilden Blumen oder vierblättrigen Kleeblättern.«
    »Und wie waren Sie?«, wollte Maya wissen. »Waren Sie ein folgsames Kind oder eher frech?«
    »Ich war ziemlich still, habe immer alles für mich behalten.«
    »Und Michael?«
    »Er war der selbstbewusste ältere Bruder. Wenn wir vom Hotelmanager einen Lagerraum für unser Gepäck brauchten oder ein paar zusätzliche Handtücher, schickten meine Eltern ihn los.
    Unterwegs zu sein war schon in Ordnung, manchmal zumindest. Wir schienen über genügend Geld zu verfügen, obwohl mein Vater nicht arbeitete. Meine Mutter hasste das Fernsehen, deswegen erzählte sie uns immer Geschichten oder las uns aus Büchern vor. Sie mochte Mark Twain und Charles Dickens. Ich weiß noch, wie aufgeregt wir waren, als sie uns den Monddiamant von Wilkie Collins vorlas. Mein Vater brachte uns bei, wie man einen Motor einstellt, eine Karte liest und in einer fremden Stadt nicht die Orientierung verliert. Anstatt Schulbücher auswendig zu lernen, hielten wir an jeder historischen Sehenswürdigkeit, die am Weg lag.
    Als ich acht war und Michael zwölf, setzten unsere Eltern sich mit uns zusammen, um uns

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