Treffpunkt Irgendwo
Auseinandersetzungen gekommen, der Staatsschutz ermittele wegen schweren Landfriedensbruchs.
Und erst in diesem Moment begriff ich: Auch meinen Ausweis hatten die Polizisten mit ihrem Scanner eingelesen. Doch dann war nichts passiert und ich hatte es wieder vergessen.
Entschlossen öffnete ich nun den Umschlag, überflog die ersten Zeilen. Es war sogar noch schlimmer als in meinen schlimmsten Befürchtungen.
Ladung zur Beschuldigtenvernehmung, Polizeidirektion 3, Abschnitt 31 in der Brunnenstraße.
Noch während ich las, fing ich an zu heulen.
Das war so unfair.
Wieso hatten die Polizisten mich herausgepickt. Ich hatte doch mit der ganzen Sache gar nichts zu tun, ich war keine Randaliererin, ich war Jana, Schülerin der Schiller-Oberschule in Marienfelde. Bis letztes Jahr eine der Jahrgangsbesten. Ich war drei Jahre Klassensprecherin gewesen, in der Grundschule Konfliktlotsin, ich hatte vier Jahre Ballett hinter mir. Mein Abitur war zum Greifen nahe, ich rauchte nicht, hatte noch nie an einem Joint gezogen, ging nicht einmal bei Rot über die Ampel. Mehr braves Mädchen als mich gab es nicht. Wie konnten die mich zu einer Beschuldigtenvernehmung vorladen. Das war doch alles nicht wahr!
Wie bescheuert waren die denn bei der Polizei. Das war doch offensichtlich, dass ich da zufällig hineingeraten war.
Oh shit, jetzt würde ich doch alles meinen Eltern beichten müssen. Wieso passierte mir so was? Warum hatte der Kerl nicht Louisa das Handy klauen können? Was sollte ich jetzt machen?
Nur langsam schaffte ich es, mich zu beruhigen. Keine Panik, Jana, alles wird gut, du hast nichts Schlimmes getan, sagte ich mir wieder und wieder.
Zunächst holte ich mir meinen Laptop oben aus meinem Zimmer, dann schaltete ich den Herd ein. Ich kannte mich, wenn ich mittags nichts Warmes zu essen hatte, dann war mit mir am Nachmittag gar nichts mehr anzufangen. Dann gingen nicht mal mehr Englisch-Vokabeln. Und die lernte ich sonst mit links.
Während die Kartoffelsuppe langsam heiß wurde, googelte ich, was unter dem Stichwort Beschuldigtenvernehmung zu finden war. Das klang alles sehr ungut. Doch zugleich auch wiederum irgendwie beruhigend.
Was ein Anwalt auf seiner Homepage riet, war das komplette Gegenteil von dem, was ich dachte, wie ich mich nun am besten verhalten müsse. Das war echt verrückt. Zuerst erklärte er auf seiner Page, dass so eine Ladung zur Polizei zunächst einmal gar nichts bedeuten würde. Gut, es bedeutet, es läuft ein Strafverfahren gegen einen, es liegt eine Anzeige vor und der Staatsanwalt oder die Polizei ermitteln, doch das sei auch zunächst alles. Man müsse zu dieser Vernehmung nicht hingehen, man brauche sich im Grunde zunächst nicht einmal darum kümmern.
Meine erste Reaktion nach dem Lesen des Briefes war: Okay, du bist unschuldig, geh da hin, sag ihnen, wie es wirklich war und damit hat sich die Sache. Es gibt vielleicht Stress mit den Eltern, doch auch die werden schon einsehen, dass ich unschuldig und da nur zufällig hineingeraten bin. Das liegt doch auf der Hand.
Wenn ich aber so reagieren würde, dann hätte ich laut Anwalt alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte.
Der Anwalt riet jedem in meiner Lage zum komplett gegenteiligen Verhalten. Erst einmal gar nicht reagieren. Und wenn man dann doch hingehen würde, nur in Begleitung eines Anwalts. Aber selbst dann sollte man in keinem Falle eine Aussage machen. Als Beschuldigter habe man das volle Recht, eine Aussage zu verweigern, denn, wie das im Fernsehen immer so gesagt wurde: »Alles, was sie sagen, kann vor Gericht gegen sie verwendet werden.«
Erst wenn der eigene Anwalt nach Akteneinsicht die genauen Vorwürfe kannte – also die Aussagen der Belastungszeugen in Erfahrung gebracht hatte –, sei es eventuell sinnvoll, zur Sache auszusagen. Und auch dann immer nur so wenig wie nötig.
Fast wäre mir die Suppe übergekocht, so sehr fesselten die Einträge meine Aufmerksamkeit und es schien mir fast, als sei ich in einen total spannenden Krimi geraten. Nur leider einer, in dem ich selbst eine wichtige Rolle spielte und dummerweise nicht die des Ermittlers.
Während ich meine Kartoffelsuppe löffelte, überlegte ich, wie ich mich nun entscheiden sollte. Klar, das war die Homepage eines Anwaltes, der wollte Geld verdienen, da war es doch logisch, dass der einem riet: nie ohne Anwalt.
Würde ich meinen Onkel Wolfgang fragen, der Polizist in Düsseldorf war, so würde der mir vermutlich raten: Mach deine Aussage
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