Treffpunkt Irgendwo
Frei sein wollen und dafür bereit sind, einen Preis zu zahlen. Eher irgendwie so, wie du und ich das kennen. Nur geht hier keiner schnorren oder Scheiben putzen, es gibt ein paar Ziegen, Schafe und Hühner. Das ist alles hier echt ganz einfach. Und im Winter soll es auch mitunter echt hart werden, sagen sie. Aber dafür sind wir autonom. Ich versuche momentan, Trinkwasser aus einem Bach zu uns umzuleiten. Geht zwar nur langsam voran, aber dann haben wir in unserem Dorf frisches Wasser. Die Leute sind echt okay, viele aus Deutschland und Österreich, ein paar Schweizer, drei Engländer und zwei Portugiesen. Alles ganz normale Leute irgendwie. Wir leben sehr einfach, unterstes Niveau. Das Geld, das wir brauchen, das verdienen wir den Sommer über mit dem Verkauf von Salz. Hier wachsen irre Kräuter: Thymian, Bärlauch, Brennnesseln und so. Das sammeln wir, trocknen es und mischen es dann mit portugiesischem Meersalz. In kleine Gläser verpackt, verkaufen wir das auf den Tourimärkten und in Läden im Süden. Auf so einem Markt habe ich Roland damals kennengelernt. Der Kerl ist in Ordnung, stammt aus Hannover, wie du und ich ein Punk. Nicht mehr so richtig äußerlich, aber du weißt ja, einmal Punk, immer Punk, auch wenn die Haare inzwischen kurz sind und kein Iro mehr. Roland und ich hatten gleich den direkten Draht. Und er hat gesagt, ich könne doch mal vorbeikommen. Sie stünden noch ziemlich am Anfang und könnten gute Leute gebrauchen. Also bin ich mit ihm hierher. Und dageblieben. Nach ein paar Wochen haben sie mir dann gesagt, wenn ich wolle, dann könne ich dauerhaft dableiben. Ja, und nun bastele ich an meinem eigenen kleinen Schieferhaus rum, denke darüber nach, woher ich eventuell Fenster bekommen könnte, lebe hier und weiß, hier werde ich auch bleiben. Ich habe irgendwie so ein ganz neues Gefühl in mir, ich bin ruhiger, fühle, ich bin angekommen. Für dich ist es vielleicht etwas zu ruhig, du bist ja eher so der Großstadtpunk, brauchst den Thrill. Ich nicht mehr. Aber wenn deine Zeit im Bau rum ist, dann sollst du wissen, dass hier immer ein Schlafsack für dich bereitliegt.
Gruß von Len
Dass er diesen wichtigen Brief an Ella schrieb und nicht an mich, das hat schon sehr, sehr wehgetan. Aber ich redete mir ein, dass ich es verstehen konnte. Ella war quasi seine Schwester, mit ihr hatte er seit seiner Flucht aus Berlin nicht mehr gesprochen. Er und ich dagegen telefonierten regelmäßig. Zwar nicht so oft, wie ich es eigentlich gern gehabt hätte, doch sein ehrliches »Du fehlst mir auch, ich liebe dich!« trug mich anschließend für einige Wochen. Das mit Len und mir hatte gerade erst begonnen. Und ich wusste inzwischen sicher, für Len war das nicht anders. Diese Gewissheit gab mir eine ungeheure Ruhe und Kraft.
Also habe ich mich an der Volkshochschule für einen Portugiesisch-Kurs eingeschrieben und begonnen, für einen Urlaub in Portugal zu sparen. Zu meinem Glück lernte ich auf meiner neuen Schule welche kennen, die im Sommer ihr Abi machten. Zwei total nette Jungs, Vincent und Mark, total fanatische Surfer und Wellenreiter. Außerdem ein supertolles Mädchen. Sie hieß Charlotte. Sie hatten eigentlich mit ihrem VW-Bus einen Strandurlaub an der französischen Atlantikküste geplant, ließen sich dann jedoch leicht von mir überzeugen, dieses Jahr, quasi als krönenden Abschluss ihrer Schulzeit, als Grand Tour zum Surfen nach Portugal zu fahren.
Epilog
A lso deshalb hast du uns überredet, nach Portugal zu fahren. Deshalb steht unser Bus nun in Arrifana am Strand und nicht in Biarritz?«, ruft Mark ungläubig.
Ich sitze in meinem Korbstuhl, trinke einen letzten Schluck Cola, lasse meinen Blick langsam über die traumhafte Bucht wandern, bevor ich antworte. »Ging nicht anders, ich musste zu Len. Und ein Flug wäre zu teuer gewesen. Seid ihr jetzt sauer?«
»Wieso?« Vincent deutet hinunter auf den Strand, der sich vor uns erstreckt. »Das sind die geilsten Wellen, die ich in meinem Leben gesehen habe. Hier will ich sterben.«
»Und wann und wo wollt ihr euch treffen?«, will Charlotte wissen.
»Ich muss mit irgendeinem Bus von hier hoch in Richtung Lissabon, dort dann weiter in die Berge«, erkläre ich ihr und ergänze entschuldigend: »Ich möchte ihn lieber allein treffen. Und ihr wolltet ja auch erst auf dem Rückweg in Lissabon vorbei.«
»Ist schon okay.« Charlotte nickt. »Aber der Tipp hier, der ist von ihm, oder?«
»Ja, hier hat er letzten Sommer gearbeitet. Da drüben
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