Treibhaus der Träume
tobte, aber hier war er machtlos.
Aus Frankfurt und Gießen engagierte er die Schwestern. Sie hatten schon in der Wiederherstellungschirurgie gearbeitet, vor allem die Operationsschwester. »Das Team ist das wichtigste an einer Klinik«, sagte Dr. Lorentzen. Das hatte er in Amerika gesehen. Dort gab es ein ›Team Appendix‹, das einen Blinddarm in sechs Minuten entfernte.
Dann war es soweit. Die Klinik stand. Hausmeister Adam Czschisczinski bekam eine weiße Jacke und weiße Hosen. Er regierte nun über drei Köchinnen, vier Küchenmädchen und neun Zimmermädchen. Hinzu kamen sechs Putzfrauen aus St. Hubert. Wie ein Landesfürst ging ›Dicki‹ in der noch leeren Klinik herum, fuhr mit dem Finger über die Fensterrahmen und Türstürze und brüllte die Mädchen an, wenn er Staub fand.
»Hier muß alles stenil sein!« schrie er, »Stenilität ist das Leben, sagt der Doktor!« Lorentzen hörte es und verbesserte ›Dicki‹ nicht. Stenil, das paßte zu ›Dicki‹. Das nahm seinem despotischen Brüllen die Kraft. Man lächelte und freute sich über ihn. Und Freude … das war es, was in dieses Haus einziehen sollte. Man kam herein mit Mißgriffen der Natur – verlassen sollte man es als glücklicher neuer Mensch.
In den Zeitungen erschienen große Anzeigen.
Neueröffnung. ›Almfried-Klinik‹ für kosmetische Operationen. St. Hubert. Chefarzt Dr. med. Lutz Lorentzen, Facharzt für Chirurgie. Alle Arten von Korrekturen.
»Viel Glück!« sagten die Väter Patz und Steegert, nachdem die Klinik offiziell eingeweiht war, mit Sekt, mit Ansprachen von Landrat und Bürgermeister, mit einem Grußwort vom Ministerpräsidenten. Dann setzten sie sich in eine Ecke, tranken Kognak und beobachteten ihre Töchter. »Er kann es brauchen, das Glück«, sagte der alte Steegert. »Meine Marianne liebt ihn.«
»Meine Ilse auch.« Der alte Patz biß eine Zigarrenspitze ab und spuckte sie in die Gegend. »Das Mädel hat aus lauter Liebe zehn Pfund zugenommen. Anscheinend liebt der Doktor Formen.«
»Und hier beginnt es, faul zu werden.« Der alte Steegert starrte in seinen Kognak. »Es kann der beste Mann nicht mehr in Frieden leben, wenn es den liebestollen Weibern nicht gefällt …«
Zunächst aber war noch Burgfrieden auf der Alm. Die ersten Klinik-Patienten reisten an. Aus einer Fülle von Zuschriften hatte Dr. Lorentzen zunächst zwanzig ausgewählt. Von der Höckernase bis zum Fettbauch war alles vertreten. »Quer durch die ganze Schönheitschirurgie«, sagte Lorentzen fröhlich, als er seine Wahl getroffen hatte. »So vielgestaltig wie möglich. Immer nur Facelifting oder Brustverkleinerung, das wird langweilig. Der Alltag wird bald nicht mehr romantisch sein wie jetzt der erste Klinikmonat. Zum Anfang leisten wir uns ein buntes Bild.«
Er war wie verwandelt. Er sprühte vor Tatenlust. Er war witzig und frech, charmant, vor allem, wenn er sich mit Ilse in Wortgefechte einließ. In dem einen Jahr schien er jünger geworden zu sein, trotz der vielen schlaflosen Nächte und der Herumhetzerei. Alle Niedergeschlagenheit war vorüber … die Schnecke war aus ihrem Bau gekrochen, und siehe da … es war ein Fuchs.
›Dicki‹ holte die ersten Patienten von der Bahn ab. Das war das Verblüffende für Lorentzen: Obgleich alle Patienten eigene Wagen und sogar Chauffeure besaßen, fuhren sie hierhin brav und bescheiden mit dem Zug. Abholen lassen – das wußte er – würden sie sich wieder von Chauffeur und Wagen, aber nun kamen sie wie arme Sünder, unsicher, ein wenig ängstlich, kritisch und beladen mit Komplexen.
Würde die Operation gelingen? Bekam man ein neues Gesicht? Wurde die Brust wieder straff und rund und fest? Verschwanden die dicken Tränensäcke unter den Augen? Lachte man nicht mehr über die abstehenden Ohren und rief einem zu: »Achtung! Halt dich fest! Ein Wind kommt auf!«? Konnte Dr. Lorentzen helfen?
Der erste Patient, der zu Dr. Lorentzen ins Sprechzimmer geführt wurde, war eine Dame. Sie hieß Joan Bridge, war vierzig Jahre alt und Amerikanerin. Sie lebte in New Orleans, aber nur nach der Paßeintragung. In Wirklichkeit war die ganze Welt ihre Heimat. Sie hatte das Glück gehabt, einen millionenschweren Mann zu heiraten, der nach zweijähriger, stumpfer Ehe mit dem Auto verunglückte und damit seiner Witwe ein Leben voller Abenteuer eröffnete. Seit vier Jahren flog sie in der Welt hin und her, während das ganze Vermögen soviel Zinsen abwarf, daß sie selbst diese nicht voll verleben konnte.
Die
Weitere Kostenlose Bücher