Treibhaus der Träume
Universitätsklinik gestanden, und von dort hatte Lorentzen sie wegengagiert. Er hatte es nie bereut … und auch Schwester Emilie nicht, so sehr sie sich auch den Anschein gab, alles, was auf der Almfried-Klinik operiert wurde, entspräche nicht ihrem Niveau.
An diesem späten Abend aber blühte sie zusehends auf.
Ein Lungenschuß.
Eröffnung eines Brustkorbs.
Überdrucknarkose.
Operation im freien Pleuraraum. Vielleicht sogar eine Pleuropneumektomie.
Erinnerungen an die Universitätsklinik kamen hoch.
Das Team der Ärzte. Der gefürchtete Chef. Der eingebildete I. Oberarzt. Der immer lustige II. Assistent.
Dr. Lorentzen überblickte den Instrumententisch, als er mit Thorlacht, den beiden jungen Assistenten und einer zweiten OP-Schwester an den Tisch trat. Vor dem OP warteten die Polizisten. Aus München war die Kriminalpolizei schon unterwegs, der Rest der Sonderkommission Bornemann.
Lorentzen nickte Schwester Emilie zu. Kein Instrument fehlte. Wie auf dem Bild in einem Operationslehrbuch lagen sie auf dem sterilen Tuch.
»Sehr gut«, sagte Lorentzen.
Schwester Emilie reichte stumm das Skalpell an. Dr. Thorlacht hatte das Operationsfeld bereits mit Jod eingerieben, der II. Assistent beaufsichtigte die Bluttransfusion. Die Anästhesieschwester gab gerade ein Kreislaufmittel. Der Puls begann zu flattern.
»Er hat jetzt zwei Liter Blut bekommen«, sagte Dr. Thorlacht laut. »Da muß innen ein richtiger See sein.«
»Sauger bereit?« fragte Lorentzen. Schwester Emilie nickte beleidigt. Welche Frage!
Der erste Schnitt. In einem großen Bogen.
Scharfe Haken zogen die Wunde auseinander, das Fleisch klaffte auf, Klemmen unterbrachen die Blutungen. Die Hände Lorentzens färbten sich rot.
Hinunter in die Tiefe. Die Rippen.
Schwester Emilie reichte die Pappenschere hin. Sie wußte jeden Handgriff im voraus, ihre Lippen bewegten sich lautlos … Sie dozierte nach innen, was Lorentzen in wenigen Sekunden tun mußte. Und dann sah sie ab und zu ihren neuen Chef an, und Verwunderung lag in ihren grauen Augen.
Wie schnell er operierte. Wie unheimlich sicher. Mit welcher spielerischen Eleganz. Wenn Prof. Lurreiß eine Pleuropneumektomie machte, schwitzte er aus allen Poren und keuchte dabei wie ein Rennpferd hinter dem Ziel. Für den Operierenden war es eine große körperliche Anstrengung, die Rippen aufzuknacken und die Lunge freizulegen. Und es war immer, so perfekt heute solch ein Eingriff gemacht wird, ein Spiel mit dem Zufall.
Bei Lorentzen war das alles nicht. Er sprach kaum, er streckte nur die Hand aus, verzichtete selbst auf die stumme Zeichensprache der Chirurgen, die durch Fingerstellung andeutet, welches Instrument man braucht … bei Schwester Emilie war das nicht nötig.
Was alle befürchtet hatten, sah man, als die Pleurahöhle freilag: Ein Blutsee füllte alles aus. Eine der großen Lungenarterien mußte von dem Schuß zerfetzt worden sein. Was man durch den Arm als Transfusion gab, floß hier wieder ungehindert in die Wanne des Brustkorbes.
»Sauger!« sagte Lorentzen ernst. »Lucia, weiter Kreislaufmittel! Hohe Dosen! Und Herzstärkung! Es muß pumpen, pumpen, so dämlich es klingt! Solange es klopft, haben wir gewonnen. Ich muß nur den Springbrunnen in der Lunge finden!«
Der Sauger summte und pumpte den Pleuraraum leer. Dr. Thorlacht tastete mit einer magnetischen Sonde die Lunge ab. Plötzlich zuckte sein Kopf hoch.
»Ich habe das Geschoß, Chef! Es sitzt zwischen Bronchulus und Arterie.«
»Hurra!« Lorentzen zog den starken Stichscheinwerfer herunter und leuchtete die Lunge grell an. Aus der Unterseite der Arterie, aus einem Riß, wo die Kugel sie gestreift hatte, sprudelte das Blut. »Jetzt zeigen Sie mal, Thorlacht, was Sie bei Heberach gelernt haben«, sagte Lorentzen gefaßt. »Doppelligaturen an der Arterie, damit ich ungestört nähen kann. Haben Sie bei Heberach auch gelernt, wie man die Ligaturen löst, ohne daß es eine Luftembolie gibt?«
»Ja, Chef.« Thorlacht sah Lorentzen über dem Mundtuch mit zitternden Augen an. »Er hat es uns gezeigt, aber selbst gemacht.«
Lorentzen schnitt das Geschoß aus der Lunge und warf es in eine gläserne Schale, die Schwester Emilie hinhielt. Dann machte er die schwierige Arteriennaht, und er machte sie mit der Hand. In den großen Kliniken verwendet man heute komplizierte Nahtmaschinen, der berühmte russische Chirurg Demichow konstruierte eine Nahtklammermaschine … für Lorentzen galt es, mit dem Feingefühl seiner Finger den Riß
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