Treibhaus der Träume
die Stöße, aber es mußten an die fünfzig sein, als sich die Angeln lösten und die Tür schief herausbrach.
Die Schatten krochen über die Berge. Es war so still, daß er von weit unten, wo die Provinzstraße lag, die Motoren der Autos hörte. Und er hörte auch das Hundebellen im Wald und wußte, daß es ihm galt.
Sie kriegen mich nicht, dachte er. Und wenn ich wieder hinauf in die Felseinsamkeit fliehe, mich von Wurzeln und Krähen ernähre … Ich will mit meinen Millionen leben!
Etwas wie Irrsinn sprang in ihm hoch. Er rannte aus der Hütte und lief die Alm hinunter, ganz instinktiv, denn alle, die ihn suchten, würden annehmen, daß er wieder den Berg hinauf geflüchtet war. Ich bin klüger als sie alle, dachte er. Ich spiele Hase und Igel mit ihnen. Während sie Felsen durchkämmen, wandere ich auf der Straße nach Süden.
Er tauchte in einem anderen Bergwald unter, erreichte einen anderen Pfad – es war ein Wanderweg des Alpenvereins – und hetzte ihn weiter, ins Tal hinunter.
Als er die Straße erreichte, war es Nacht. Röchelnd warf er sich in den Straßengraben. So lag er eine ganze Weile, und seine überwachen Sinne nahmen alle Geräusche wie Donnerschläge auf.
Hundegebell. Überall. Bestand die Welt denn nur noch aus Hunden?
Autos. In langer Reihe. Wo kamen sie alle her? Lichterketten, Bremslichter, Scheinwerfer …
Er kroch im Straßengraben weiter, und seine Nerven waren so mitgenommen, daß er vor Wut und Enttäuschung laut zu weinen begann.
Weiter, nur weiter! Die Straße entlang.
Vielleicht kam eine Scheune, ein Stall, ein Heuschober. O, noch lieber ein Bach … ein kühler, schöner Bach, der alle Spuren wegschwemmte. Und dann ein Dach über dem Kopf und morgen weiter. Weiter –
Er taumelte auf die Straße, weil er gegenüber die langgestreckten Schatten von Scheunen sah. Er rannte mit vorgestreckten Armen ins Freie … nur zehn Meter, dann war wieder Nacht. Nur dumme zehn Meter bis zu den Schatten der Scheunen.
Bornemanns Kopf flog herum.
Eine Stimme, irgendwo aus der Dunkelheit. Ein Kommando.
»Halt! Stehenbleiben!«
Bornemanns Mund zuckte. Seine Augen brannten. Die Lunge zerbarst fast.
»Stehenbleiben!«
Bornemann rannte.
Noch fünf Meter bis zu den Schatten. Drei Meter … zwei Meter … Es war sinnlos, was er tat, aber er tat es wie ein Tier, das nie aufgibt, bis es zusammenbricht.
»Stehenbleiben …«
Bornemann hörte die Schüsse überklar wie Detonationen in seinen Ohren. Dann schlug es heiß in seinen Rücken ein, er fiel im Laufen nach vorn, schabte mit dem Gesicht über die Straße und rollte im Schwung des Laufes noch ein paar Meter in die ersehnten Schatten.
In seiner Lunge brannte ein Feuer. Er schmeckte es auf der Zunge. Verbrannt. Ölig.
Er wälzte sich auf den Rücken und starrte in den Himmel. Regenwolken hingen tief herunter. In seiner Brust wurde es plötzlich kalt, eisigkalt nach dieser glühenden Hitze. Er klapperte mit den Zähnen und krümmte sich vor Frost. Und dann wurde die Nacht unendlich, und der Regenhimmel sank weg …
»Die nächste Klinik ist die Almfried-Klinik«, sagte der Streifenführer der Landpolizei. Sie hatten Bornemann in den Wagen gehoben. Er lebte noch. »Vielleicht kann er noch gerettet werden. Ein Mist ist das. Ausgerechnet ein Lungenschuß. Los, nach St. Hubert …«
So kehrte Hans Bornemann in die Almfried-Klinik zurück. Als Sterbender.
Von der Verlobungsfeier Dr. Thorlachts holte man Lorentzen weg zum Operationssaal.
»Sie müssen ihn retten, Herr Doktor«, stotterte der Landpolizist betreten. »Ich wollte ihn doch nur ins Bein treffen …«
»Ich werde alles versuchen.« Lorentzen blickte in das fahle Gesicht Bornemanns. Er verblutet nach innen, dachte er.
Schwester Emilie, die Operationsschwester, war maßlos aufgeregt, als sie die Instrumente auf das sterile Tuch des Instrumententisches ausbreitete.
Zum erstenmal seit Monaten gab es wieder eine ›richtige‹ Operation. Was bisher in diesem OP geschehen war, hatte sie als ›elegante Spielerei‹ abgetan, mit Ausnahme der großen Eingriffe wie die Beinverkürzung und die Beinverlängerung bei Evelyn Heinzel oder die langwierige Transplantation bei dem ›Grafen‹. Brustverkleinerungen und Brustvergrößerungen bedachte sie immer mit einem Nasenrümpfen. Was die Natur einem gegeben hat, ist richtig, war ihre Ansicht.
Desungeachtet war Schwester Emilie die beste Operationsschwester, die Lorentzen je gesehen hatte! Sie hatte im großen OP einer
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