Treuepunkte
euch«, verspreche ich noch. So gern ich die beiden auch mag, jetzt möchte ich sie nur schleunigst loswerden. Nun ist Rudi ein bisschen beleidigt: »Erst macht uns de Christoph ganz verrückt mit seim verquere
Anruf mitte in der Nacht un dann legt der sich mir nix dir nix hin un schläft. Seeleruhisch. Des is net in Ordnung. Wie kann der Bub uns des antun? Es wär doch kaa große Sach gewese, ebe mal dorschzuklingele, um Bescheid zu gebe, dess alles gut is, also des is net in Ordnung.« Ich finde auch gar nichts in Ordnung, rede aber beruhigend auf meine Schwiegereltern ein: »Ich melde mich morgen gleich bei euch, der Christoph braucht doch seinen Schlaf, ihr kennt ihn doch. Er hat es bestimmt nicht böse gemeint.« Das nenne ich Altruismus. Selbstloses Handeln. Was hätte ich jetzt über den Kerl ablästern können, aber gutherzig wie ich bin, nehme ich ihn sogar bei seinen Eltern in Schutz. »Gut, ei ja, wenn werklisch alles in Ordnung is – der Bub soll ja sein Schlaf bekomme«, brummelt Rudi und ich höre Inge im Hintergrund nur, »seltsam is des alles, merkwördische Geschicht. Isch versteh des alles net«, murmeln. Dann wünschen sie mir endlich brav, »Gute Nacht«. Uff, das wäre geschafft.
Ich schlafe unruhig. Träume wirres Zeug von Christoph und Belle Michelle, der in meinem Traum kleine Teufelshörnchen aus ihrem glänzenden Wallehaar herauswachsen und die immerzu fies kichert.
2
Am nächsten Morgen erwache mit einem Wahnsinns-Kater. Auch das noch. Ich dachte, ich hätte guten Wein getrunken! Was für einen Fusel hortet Christoph denn da im Keller? Der kann mir dankbar sein, dass ich den getrunken habe. Mit Müh und Not zaubere ich den Kindern Frühstück, schütte Milch in Cornflakes, und als sie nach ihrem Vater fragen, behaupte ich, er sei schon im Büro. Man soll die Kleinen ja nicht unnötig in Ängste stürzen. Da Christoph wirklich sehr oft am Frühstückstisch fehlt, glauben sie mir sofort. Kinder haben ohnehin keinen Hang zum Argwohn. Nachdem ich beide weggebracht, Schule und Kindergarten abgeklappert habe, fahre ich auf dem schnellsten Weg nach Hause.
Kaum ist die Tür hinter mir ins Schloss gefallen, drücke ich die Taste unseres Anrufbeantworters. Sie leuchtet rot, was bedeutet, dass es Anrufe gegeben hat. Er hat sich besonnen und will sich für sein Fluchtverhalten entschuldigen. Immerhin. Ich muss zugeben, ich bin froh darüber. Erleichtert. Ich habe nicht gerne ernsthaften Streit. Ich bin eine Frau, die es, wie die meisten Frauen, gerne harmonisch hat. Was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass ich konfliktscheu bin, höchstens ein ganz klein bisschen. Der Anrufbeantworter zeigt zwei neue Nachrichten an – eine von gestern Nacht und eine von heute. Ich starte das Band: »Andrea, melde dich, ich stehe in der Notaufnahme und weiß mir nicht zu helfen. Ruf mich bitte
an.« Mist, die Nachricht ist mir gestern durch die Lappen gegangen. Christophs Stimme klingt leicht panisch. Die Beingeschichte muss ihm ziemlich zugesetzt haben. War vielleicht doch eine Nummer zu hart. Andererseits – er hätte mich ja vorher mal anrufen können. Wenn er sich gemeldet hätte, wäre ich doch gar nicht so weit gegangen. Und hätte er mir in den letzten Jahren mal zugehört, hätte er die Ironie des Ganzen auch kapiert. Ich meine, habe ich nicht (sogar mehrfach) gesagt: »Bitte mach dein Handy an. Stell dir mal vor, ich wäre in der Notaufnahme und müsste entscheiden, ob das Bein ab muss.« Mit anderen Worten: Selbst schuld. Er hat nur bekommen, was er verdient. Auf sanfte Schubser scheint er nicht zu reagieren. Manche brauchen anscheinend einen richtigen Schlag. Nachricht Nummer zwei ist leider auch nicht die erhoffte. Es sind meine Schwiegereltern, die nach der gestrigen Nacht förmlich nach Aufklärung lechzen. »Ruft ema an, mer verstehe des all net. Mer konnte kaum schlafe gestern.« Sonst nichts. Das war’s. Keine aktuelle Nachricht von Christoph. Auch nicht auf meinem Handy.
Was bedeutet das? Hat er schon mit mir abgeschlossen oder ist das der Start eines Wettkampfes? Wer schafft es, wie lange still zu bleiben? So wie unter Kindern: Wer zuerst spricht, hat verloren. Ist ein Anruf allein schon ein Schuldeingeständnis? Ich setze mich auf die Couch und denke nach. Sollte ich mich melden, ganz cool, nur mal fragen, ob er gut geschlafen hat? So, als wäre nichts Besonderes gewesen? Das wäre sehr erwachsen und geradezu vorbildlich. Auf der anderen Seite hat er mich eh schon eifersüchtige Ziege
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